Eine.Welt.Kirche und zweierlei Globalisierung

Johannes Bielefeld ist Geschäftsführer der Hauptabteilung Weltkirche im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart. © DRS.GLOBAL.

Am Samstag, 1. Juli, feiert die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart ihr 50-jähriges Bestehen. Johannes Bielefeld arbeitet seit 30 Jahren in der Diözese und zieht in der aktuellen Ausgabe von DRS.GLOBAL eine nüchterne Bilanz zum weltpolitischen Geschehen der letzten Jahrzehnte.

Mitte der 1980er Jahre schockierten Bilder der katastrophalen Hungersnot in Äthiopien und mehreren Ländern der Sahelzone die Weltöffentlichkeit. Heute, gut dreißig Jahre später, scheint die Bewohner dieser Weltregion das gleiche Schicksal zu ereilen: Äthiopien, Somalia, Kenia, Sudan und Südsudan stehen abermals unmittelbar vor einer Hungerkatastrophe. Zwanzig Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen akut von Hunger bedroht! Was hat die Menschheit aus den traumatischen Ereignissen der zurückliegenden drei Jahrzehnte gelernt?

Hat es überhaupt einen moralischen, humanitären Fortschritt gegeben? Wenn man gegenwärtig Nachrichtensendungen im Fernsehen verfolgt, gewinnt man entweder den Eindruck, es herrsche „ein dritter Weltkrieg, der stückweise geführt wird“, wie Papst Franziskus es schon wiederholt formuliert hat, oder dass die Weltordnung gerade dabei ist, zu zerfallen. Die letzten knapp dreißig Jahre beschreiben im Grunde das Zeitalter der Globalisierung, zu Beginn markiert von zwei Zäsuren damals nicht geahnter Tragweite.

Es ist das Jahr 1989, das für einen doppelten Epochenbruch steht: den Untergang der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten einerseits und die Kommerzialisierung des Internets auf der Grundlage des WorldWideWeb andererseits. Dieses Zusammenfallen von gesellschaftspolitischer und digitaler Revolution in globalen Dimensionen hat offensichtlich einen Prozess ausgelöst, der eine derartige Eigendynamik entwickelte, dass er zunehmend außer Kontrolle geraten ist. Nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs obsiegte scheinbar das Modell der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer westlichen Verbündeten von wirtschaftlicher Freiheit.

Doch der buchstäblich entfesselte Kapitalismus wollte offenbar keine Antworten finden auf die großen Fragen der Menschheit. Er beförderte weder „Gute Regierungsführung“ noch „Soziale Marktwirtschaft“, sondern vor allem Habgier und Raffsucht in globalem Maßstab. Es ist nicht allein Papst Franziskus, der im Zeitraffer-Rückblick auf diese fast dreißig Jahre von der Entwicklung hin zur „Diktatur einer Wirtschaft … ohne ein wirklich menschliches Ziel“ spricht.

Auch Ex-Bundespräsident und Ex-Weltwährungsfonds-Chef Horst Köhler geißelte erst kürzlich bei einem Vortrag an der Universität Tübingen die Expansion des Kapitalismus und forderte geradezu leidenschaftlich dessen Zähmung durch eine neue sozial-ökologische Marktwirtschaft. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, und angesichts der weltweiten Gegenreaktionen auf die Urgewalten der Globalisierung in Form von Nationalismus und Populismus, Rückwendung zu Ethnie und Identität, religiöser Fanatisierung und Terrorismus, ist es gut denkbar, dass eher noch weitere Irrwege eingeschlagen werden.

Die Katholische Kirche ist auch ein weltumspannendes Netzwerk. Manchmal rühmt sie sich etwas konformistisch, der älteste und am weitesten verbreitete „Global Player“ zu sein, was bei 3.150 Diözesen weltweit und einem Anteil von fast 20 Prozent Katholiken an der Weltbevölkerung andererseits nicht als Anmaßung verstanden werden kann. Doch wie hat die Kirche in der jüngeren Vergangenheit mit diesen Pfunden gewuchert? Was hat sie der aus dem Ruder laufenden Entwicklung der Globalisierung entgegengesetzt?

Geschichtliche Abläufe sind immer multikausalen Ursprungs, und so wird man Papst Johannes Paul II. einen Anteil am Zusammenbruch des Kommunismus nicht absprechen können. Was wäre möglich gewesen, wenn er auch in dem am Ende seiner Amtszeit heraufziehenden dritten Millennium im Vollbesitz seiner Kräfte geblieben wäre? Und wenn unmittelbar ein Nachfolger wie Papst Franziskus gefunden worden wäre und nicht zwischendurch acht Jahre lang mit Papst Benedikt XVI. ein Theologe den Petrusdienst versehen hätte, dem eher an der „Entweltlichung der Kirche“ gelegen war?

Bei vielen verpassten Chancen – weltpolitisch und weltkirchlich – ist folgerichtig alles beim Alten geblieben: Armut und Ungerechtigkeit, Hunger und Epidemien, Krisen und Spannungen. Diese immer währenden, offenbar selbst Umwälzungen globalen Ausmaßes überdauernden Probleme beschreiben zugleich die Herausforderungen, vor denen sich die Diözese Rottenburg-Stuttgart in ihrer weltweiten Verantwortung seit fünf Jahrzehnten gestellt sieht. Eingebunden in die Weltkirche und im Laufe des zurückliegenden halben Jahrhunderts direkt verbunden mit gut Dreivierteln aller existierenden Ortskirchen auf dem Erdenrund konnten punktuell sehr wohl unzählige Verbesserungen erzielt und Missstände beseitigt werden. Es war und bleibt jedoch eine Anstrengung, die nie ans Ziel zu führen scheint.

Denn wie Papst Franziskus treffend formuliert: „Wenn die Politik nicht imstande ist, eine perverse Logik zu durchbrechen, und wenn auch sie nicht über armselige Reden hinauskommt, werden wir weitermachen, ohne die großen Probleme der Menschheit in Angriff zu nehmen.“

Johannes Bielefeld ist Geschäftsführer der Hauptabteilung Weltkirche im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Dieser Text erschien ursprünglich in der Ausgabe von DRS.GLOBAL 3/2017 mit Erscheinungstermin am 20. Juni.

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