In den Dörfern Zentralafrikas – Zweiter Teil

Christlicher Glaube und der Glaube an Hexerei gehen hier miteinander einher - eine große Herausforderung für den Spiritaner. © Olaf Derenthal

Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mombaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao.

In seinem Blog berichtet Pater Derenthal von seinem Alltag als Missionar und Krankenpfleger. In den letzten Tagen besuchte er mit einem Einbaum und zu Fuß verschiedene Dörfer am Ubangi-Fluss an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo. Er lernt in den kleinen Fischerdörfern am Fluss die Außenstationen seiner Pfarrei und die Gläubigen seiner Gemeinde kennen.

Sako – eine nette Gemeinde, ein neuer Katechet, da der vorherige eine zweite Frau „genommen hat“ – so sagt man das auf Sango. Die Regeln der (Orts-)Kirche sind klar, und sie machen Sinn, auch wenn ich damit niemanden „verurteilen“ will, der polygam lebt: Wer als Katechet arbeitet, ist mit nur einer Frau verheiratet, im Idealfall auch kirchlich. Aber die Katecheten sind natürlich ganz und gar Teil der heimischen Kultur, und da ist es nicht unüblich, dass ein Mann zwei oder mehrere Frauen hat, wenn er es sich denn leisten kann. Und so passiert es immer wieder, dass ein Katechet sein Amt niederlegt bzw. niederlegen muss, weil auch er eine zweite Frau „ins Haus geholt hat“.

Und dazu ein Segen mit Weihwasser © Olaf Derenthal

Am nächsten Tag geht es wieder zu Fuß weiter, nach Yawe. Aus diesem kleinen Dorf am Ubangi stammt einer der zurzeit wichtigsten Politiker des Landes: der stellvertretende Parlamentspräsident. Viele Leute tragen ein T-Shirt oder eine Schirmmütze mit seinem Konterfei. Das sind Reste des Wahlkampfes im vergangenen Jahr. Es scheint mir, dass alle im Dorf für den Abgeordneten Zingas gestimmt haben.

Die Gabenprozession © Olaf Derenthal

Ob er denn seit seiner Wahl schon mal wieder aufgetaucht sei, will ich wissen. Nein, erklärt man mir, der sei doch ein „kota zo“, das heißt eine wichtige Persönlichkeit (wörtlich: „ein großer Mensch“), das sei doch viel zu gefährlich für ihn, wo seit drei Jahren die Rebellen in der Basse-Kotto herrschten. Ausnahmslos jeder, mit dem ich spreche, hat Verständnis dafür, dass der große Sohn des Dorfes die ganze Zeit in der sicheren Hauptstadt bleibt. Aber es geht auch das Gerücht um, dass er bald vielleicht doch einmal nach Mobaye kommt, um seinen Wählern „Danke schön“ zu sagen für seine Wahl. Und dass er Geschenke mitbringt. Vielleicht bekomme ich dann ja auch ein T-Shirt.

Verhexte Nilpferde

Mit unserem Einbaumboot fahren wir nach einem Mittagessen in Yawe zu unserer letzten Station in Nyeki, einer kleinen Gemeinde, die auf recht schwachen Füßen steht. Schon vor einigen Jahren waren die Grundmauern für einen Kirchenbau gelegt worden, aber irgendwie war kein Elan mehr da, die Eigenbeteiligung schwand, und so blieb es bei den Fundamenten.

Schon vor einigen Jahren waren die Grundmauern für einen Kirchenbau gelegt worden, aber es blieb nur bei den Fundamenten. © Olaf Derenthal

Dann kamen die Rebellen und ein großer Teil der Dorfbevölkerung ist in den benachbarten Kongo geflohen – bis heute. Im vergangenen Jahr kamen zu all dem noch zwei tödliche Unfälle hinzu: Zweimal ist eine Piroge von einem Nilpferd angegriffen worden, bei beiden Attacken starb jeweils ein junger Mann. Viele Fischer trauen sich jetzt nicht mehr ohne weiteres auf den Fluss hinaus.

Die Nilpferde sind in meinem ganzen Sektor ein großes Problem. Bislang habe ich nur eines von weitem gesehen. Zudem sagen die Leute, dass die großen Tiere Angst vor dem Geräusch eines Außenbordmotors haben und sofort fliehen, wenn wir uns einer Gruppe nähern. Aber außer uns hat oberhalb der Stromschnellen von Mobaye niemand einen Außenbordmotor.

Flusspferde sind geschützte Tiere. Nur mit Genehmigung der Behörden in Bangui dürfen sie gejagt werden. Der Präfekt hat neulich öffentlich verkündet, dass die Erlaubnis nun da sei. Aber wer jagt sie? Der einzige Beamte aus dem Ministerium „Eaux et forêts“ – „Wasser und Wälder“ in der Basse-Kotto gehört zu unserer Gemeinde in Mobaye. Früher hatten sie Jagdgewehre, so erzählt er mir, aber die Seleka hat natürlich auch ihr Büro in Mobaye geplündert. Das Waffenmonopol hat bei uns nicht der Staat, sondern die Rebellen. Die Jagd mit Speeren und Pfeilen ist dagegen lebensgefährlich.

Nicht, dass die Menschen bei uns vor „echten“ Nilpferden Angst hätten. Aber die Nilpferde – so habe ich gleich am ersten Abend erfahren – die die Boote angreifen, sind keine Tiere, „die Gott geschaffen hat“. Echte Flusspferde sind harmlos. Wenn die mächtigen Tiere angreifen, dann ist das Hexerei, dann sind das nämlich verwandelte Menschen, die durch einen Zauber zu Tieren werden. Derartige Menschen verspüren immer wieder den unwiderstehlichen Drang, ins Wasser zu gehen, wo sich ihre Gestalt verändert: Sie machen eine „Metamorphose“ durch, wie die Leute hier sagen. Sie werden zu gefährlichen Flusspferden. Wenn es gelingt, ein solches zu töten, dann stirbt am folgenden Tag auch der betroffene Mensch, denn im Prinzip bleibt ja nur seine Hülle an Land zurück, und die muss dann sterben.

Solche Deutungen erfahre ich nicht aus dem Mund von Menschen, die einer traditionellen Religion angehören, sondern von unseren Katecheten, von vielen Katholiken. In das Weltbild vor Ort gehört das Phänomen der Metamorphose unbedingt hinein. Ich habe nicht den Eindruck, dass der christliche Glaube der Zentralafrikaner diese Sichtweise in Frage stellen würde. Wenn ich da behutsam weiterbohre, werde ich auf unser Großes Glaubensbekenntnis verwiesen, in dem wir unseren Schöpfergott bekennen, der beides geschaffen hat: „die sichtbare und die unsichtbare Welt“. In unserem rationalen Europa spielt die „unsichtbare Welt“ im Alltagsleben keine wichtige Rolle. Hier dagegen gibt es für jedes Phänomen  in der „sichtbaren Welt“ einen Grund in der „unsichtbaren Welt“. Gigantische Herausforderungen für das Christentum, die bleiben. Und auch für mich als Spiritaner und Missionar.

Und so feiere ich am letzten Morgen meiner Tour in den Dörfern am Fluss die Messe unter vier großen Mangobäumen. Leider gibt es davon keine Bilder. Die Batterie in meinem Fotoapparat ist leer, aber wo aufladen?

Am frühen Nachmittag kommen wir wieder wohlbehalten in Mobaye an; und dann heißt es auspacken, aufräumen und auch ein wenig ausruhen.

Von Pater Olaf Derenthal

Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao.

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