Ein neuer Präfekt und viele Kalaschnikows

Der kleine Isodore hat den Angriff überlebt. © O. Derenthal

Endlich – gestern sind sie angekommen: Der neue Préfet (Präfekt) der Basse-Kotto und die sechs Sous-préfets (Unterpräfekten – ziemlich schräg, diese wörtliche Übersetzung, aber die steht tatsächlich auch so in meinem französischen Wörterbuch). Nach sieben Monaten der Anarchie – Macht hat, wer eine Kalaschnikow besitzt – gibt es wieder eine legitime staatliche Autorität in unserer Präfektur. Eine Präfektur entspricht in etwa einem Bundesland, eine Unterpräfektur lässt sich vielleicht am ehesten mit einem Regierungsbezirk vergleichen.

Mit einem Hubschrauber der mauretanischen Blauhelm-Soldaten sind die Beamten gestern aus Bangui bei uns eingetroffen. Da unser Pick-up anscheinend das einzige funktionierende zivile Auto in Mobaye ist, durfte ich gleich den Chauffeur des Präfekten spielen: Vom Hubschrauberlandeplatz (Feld hinter dem geplünderten Gymnasium) bis zu seiner Residenz.

Riesige Hoffnungen ruhen nun auf dem Regierungsvertreter. Dabei wissen wir alle, dass auch er keine Wunder vollbringen kann. Aber tief durchgeatmet haben erst einmal alle Bewohner Mobayes: wir auf zentralafrikanischer, aber ganz bestimmt auch die Geflohenen auf kongolesischer Seite.

Nach der Ankunft gab es einen Empfang mit einer Flasche Limonade und Vorstellungsrunde, am Nachmittag schließlich ein einstündiges Treffen mit einigen zivilen Vertretern der Stadt (zu denen auch immer der Imam, der evangelische Pastor und der katholische Pfarrer zählen). Danach traf der Präfekt die militärischen „Gesandten“: den Befehlshaber der UNO-Soldaten, die beiden Generäle der Seleka-Rebellen und einen Vertreter der Anti-Balaka-Kämpfer. Aber da waren wir dann nicht mehr dabei. Wir haben eben keine Kalaschnikow. Wollen wir auch gar nicht.

Papa Faustin und seine zwei Söhne

Unterdessen möchte ich euch die traurige Geschichte von Faustin und seinen beiden Söhnen Isidore und Désiré erzählen. Faustin ist einer unserer Katecheten. Zusammen mit seinem Kollegen Antoine leitet er die kleine katholische Gemeinde in dem Dorf Bandou 2, etwa 15 Kilometer landeinwärts von Mobaye entfernt. Als die Kämpfe zwischen Séléka-Rebellen und Antibalaka-Kämpfern Ende Mai aufflammten, ist er mit seiner Familie in den Busch geflohen, in die weitläufige Umgebung seines Dorfes. Viele Bewohner haben das genauso gemacht: Versteckt zwischen Feldern und Wald leben sie zwar in ständiger Unsicherheit, aber die Natur liefert das Nötigste an Nahrung. Aus Angst vor Hunger und Schikanen im Kongo sind sie nicht ins Nachbarland geflohen.

So hat Faustin für sich und seine Familie eine kleine Hütte gebaut. Darin wollten sie leben und ausharren, bis der Spuk des Krieges vorüberziehen würde. Doch eines Tages, es war der 16. August 2017, haben Séléka-Rebellen aus dem Ort Langandji Jagd auf die geflohene Zivilbevölkerung gemacht. Faustin war gerade aufgebrochen, um einen Bekannten zu besuchen, als die Mörder das Versteck seiner Familie entdeckten: seine Mutter, seine im 8. Monat schwangere Frau, seine sechs Kinder und ein Patenkind mussten zunächst die armselige Habe aus der Hütte schaffen und sich dann auf den Boden legen. Dann haben sie auf sie geschossen. Faustin hat die Gewehrsalven gehört, wusste aber nicht, woher sie kamen und ist davongelaufen. Gegen 18.00 Uhr hat er sich zurückgeschlichen und hat fast seine ganze Familie tot aufgefunden. Wie durch ein Wunder haben seine zwei jüngsten Söhne überlebt: Désiré, 4 Jahre alt, und Isidore, 6 Jahre alt, mit einer Kugel im Oberschenkel. Am vergangenen Samstag hat man das Geschoss im hiesigen Krankenhaus herausgeholt.

Faustin hat alles verloren. Geblieben sind ihm seine beiden quirligen und lebensfrohen Jungs, die jetzt vier Tage bei uns gewohnt haben, bis dass der kleine chirurgische Eingriff bei Isidore gemacht war.

Die Mörder laufen unterdessen weiter unbehelligt in Langanji herum. Faustin kennt sie. Aber da es hier keine Justiz, keine Polizei, keine staatliche Gewalt gibt, zieht sie niemand zur Verantwortung. In der Basse-Kotto hat eben derjenige das Sagen, der eine Kalaschnikow in den Händen hält. Und Waffen tragen die Rebellen beider Seiten weiterhin. Trotz der ausgehandelten Waffenruhe.

Und Faustin? – Faustin will unbedingt wieder in sein Dorf Bandou 2 zurück. Gottesdienste feiern und Religionsunterricht geben. Damit der Glaube lebt.

Von Pater Olaf Derenthal

Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao. Wegen zunehmender Konflikte zwischen den Rebellen dort ist er mit seinen Mitbrüdern vorübergehend in den benachbarten Kongo geflohen. Hier finden Sie Auszüge aus seinem Blog.

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