Amoris Laetitia – eine kleine Revolution

Amoris Laetitia ist wieder ein großartiges Schreiben von Papst Franziskus mit inspirierenden Texten, relevanten pastoralen Orientierungen und einer versteckten Zeitbombe. Im dritten Paragraphen heißt es, dass „nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen“ und es deshalb „verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre“ geben kann. Denn „in jedem Land und jeder Region können besser inkulturierte Lösungen gefunden werden.“  Schon in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium hatte Franziskus für eine „heilsame ‚Dezentralisierung‘“ plädiert. Das ist eine Kehrtwende in der Kirchenpolitik der letzten 150 Jahre, die auf eine immer größere Zentralisierung zielte.

Amoris Laetitia wendet das Prinzip auf einige strittige Punkte der Familiensynode an, die auf der lokalen Ebene gelöst werden sollen. Bischöfe können nicht länger ihre Verantwortung auf den Vatikan abschieben, sondern müssen sich den Problemen vor Ort stellen, die sehr verschieden sein können. Während für die Kirche in Europa die Pastoral für geschiedene und wiederverheiratete Paare wichtig ist, müssten Afrikas Bischöfe Fragen, die sich im Kontext einer von Polygamie geprägten Gesellschaft stellen, neu aufgreifen. Wie umgehen mit Taufbewerbern, die ohne persönliche Schuld zweite Frauen in einer polygamen Familie sind? Die bisherigen pastoralen Optionen, sich vom Ehemann zu trennen oder „wie Bruder und Schwester“ zu leben, sind meistens ebenso unmöglich wie ungerecht. Den verständnislosen Frauen zu erklären, dass sie zwar trotz guten Willens nicht das Sakrament der Taufe, sondern nur die „Begierdetaufe“ empfangen können, ist keine Lösung.

Bischöfe können nicht länger ihre Verantwortung auf den Vatikan abschieben, sondern müssen sich den Problemen vor Ort stellen, die sehr verschieden sein können.

Noch notwendiger wäre Dezentralisierung im Bereich der Liturgie. Wie kann eine römische Instanz entscheiden, ob die Übersetzung liturgischer Texte in eine der 2000 afrikanischen Sprachen korrekt ist? Bestes Beispiel einer missglückten Überzentralisierung  ist die kontroverse englische Übersetzung des Messbuches von 2011. Die am lateinischen Text orientierte Übersetzung ist ein Stolperstein für Zelebranten  und ein Verständnishindernis für die Gläubigen. Sie erschwert die dringend notwendige Inkulturation der religiösen Sprache.

Ohne davon zu reden wendet Franziskus das Prinzip der Subsidiarität, das ein größtmögliches Delegieren von Verantwortung nach unten fordert, auf die Kirche an. Die übergeordnete Instanz (Vatikan) soll nicht für die Bischöfe entscheiden, was diese besser selbst vor Ort entscheiden können. Wäre es nicht im Sinne des Papstes, wenn wir das gleiche Prinzip auch bei der Restrukturierung unserer Pfarreien anwenden würden? Die kleine Gemeinde behält so viel Eigenständigkeit wie möglich; die Großpfarrei übernimmt die Aufgaben, die die Gemeinde nicht leisten kann.

Von Pater Wolfgang Schonecke

Kategorie Klartext

Der Afrikamissionar Pater Wolfgang Schonecke führt seit 2008 das Berliner Büro des Netzwerks Afrika Deutschland (NAD). Der Ordensmann war lange Jahre in der Pastoral in Uganda tätig. Von 1994 bis 2001 leitete er die Pastoralabteilung bei der ostafrikanischen Bischofskonferenz.

4 Kommentare

Schreibe einen Kommentar zu Anja Middelbeck-Varwick Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert