Unruhige Tage in Jerusalem

Plakat in Jerusalem. © Gregor Buß

Es erreichte mich eine E-Mail der deutschen Botschaft in Tel Aviv: „Mit einer Verschärfung der Sicherheitslage muss gerechnet werden. Es wird empfohlen, von Besuchen der Altstadt Jerusalems namentlich von Freitag, den 11. Mai 2018 bis einschließlich Dienstag, den 15. Mai 2018 nach Möglichkeit abzusehen.“

Meine Wohnung liegt fußläufig zur Jerusalemer Altstadt, seit zwei Jahren lebe ich hier, beinahe täglich fahre ich mit dem Fahrrad an der Altstadt vorbei. Sollte ich die Warnung der Botschaft also beherzigen – oder ist sie nur Panikmache?

In der Tat blickt man mit Sorge auf die kommenden Tage in Israel und Palästina, insbesondere in Jerusalem. Selbst für Israelis und Palästinenser, die sich ansonsten selbst in hektischen Zeiten nicht aus der Ruhe bringen lassen, bedeuten diese Tage eine besondere Bewährungsprobe. Jerusalem-Tag, Unabhängigkeits-Tag, Nakba-Tag – drei Gedenktage, die es in sich haben.

Der Jerusalem-Tag, der in diesem Jahr am 13. Mai begangen wurde, erinnert an die Eroberung Ostjerusalems durch die israelische Armee im Sechstagekrieg 1967. Mit der Eroberung des Ostteils der Stadt fiel auch die Klagemauer wieder unter jüdische Kontrolle. Große Jugendgruppen ziehen mit Flaggen in der Hand und patriotischen Liedern auf den Lippen durch die Altstadt. Was für die einen ein Tag der Freude ist, ist für die anderen ein Tag der Trauer. Viele arabische Händler und Bewohner der Altstadt fühlen sich von diesem offen zur Schau getragenen Patriotismus provoziert. Sie betrachten die Altstadt und den Ostteil Jerusalems als ihre Hauptstadt und sehnen sich nach dem Tag, an dem Ostjerusalem die Hauptstadt eines unabhängigen Palästinas wird.

Am 14. Mai, also unmittelbar nach dem Jerusalem-Tag, jährt sich die Unabhängigkeit Israels zum 70. Mal. 1948 hatte David Ben Gurion in Tel Aviv die Unabhängigkeit Israels ausgerufen. Noch in derselben Nacht erklärten sechs arabische Nachbarstaaten dem jungen Staat den Krieg, den Israel jedoch für sich entscheiden konnte. Es ist aber nicht nur dieses 70-jährige Jubiläum, das den 14. Mai 2018 emotional und politisch so auflädt. Hinzu kommt, dass sich der amerikanische Präsident für diesen runden Geburtstag ein besonderes Geschenk überlegt hat: die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Dass die Botschaftsverlegung genau an diesem Tag stattfindet, ist aus Sicht Trumps Ausdruck der besonderen Verbundenheit der USA mit Israel. Im Zentrum Jerusalems sind daher zahlreiche Plakate aufgehängt, die ihn für seine Freundschaft zu Israel loben – finanziert übrigens von christlich-evangelikalen Gruppen aus den USA.

Aus Sicht der Palästinenser ist die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten allerdings eine herbe Enttäuschung. Ihr Traum, dass Ostjerusalem eines Tages ihre Hauptstadt wird, rückt damit in noch weitere Ferne.

Auch am folgenden Tag ist mit Unruhen zu rechnen. Am Dienstag, 15. Mai, begehen die Palästinenser den Nakba-Tag – den Tag der Katastrophe. Sie erinnern damit an den Verlust ihrer Heimat im Zuge des Unabhängigkeitskrieges vor 70 Jahren. Besonders die aktuellen Proteste im Gazastreifen stehen hiermit im Zusammenhang. Seit sechs Wochen fordern hunderte Palästinenser am Grenzzaun zu Israel die Rückkehr in ihre Heimatdörfer. 53 Palästinenser sind bei diesem „Großen Marsch der Rückkehr“ bereits ums Leben gekommen. Eine weitere Eskalation am Dienstag ist zu befürchten.

Es stehen also in der Tat unruhige Tage in Israel und Palästina bevor. Jerusalem wird aller Voraussicht nach das Epizentrum dieser Unruhen bilden. Und dennoch bleibt zu hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt die Ruhe bewahren, dass sie sich nicht zum Spielball politischer Machtinteressen machen lassen. Ich hoffe, dass ich auch in den kommenden Tagen sorglos mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren kann.

Von Gregor Buß

Gregor Buß lebt seit 2015 in Jerusalem und arbeitet an der Hebräischen Universität.

 

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