Westliche Entwicklungspolitik: Ende eines Zeitalters?

Die deutsche Entwicklungspolitik will nun enger mit Religionsgemeinschaften kooperieren. Auch das Auswärtige Amt hat mit seiner Konferenz „Friedensverantwortung der Religionen“ vor kurzem gezeigt: Religion gerät zunehmend ins Blickfeld der internationalen Politik. Steht die westliche Entwicklungspolitik vor einer Zeitenwende?

Was aber ist „Entwicklung“?

Zuerst ein Hinweis auf die Unterscheidung zwischen staatlicher und kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit (EZ): Nur 15% aller EZ-Mittel sind staatlich; 85% sind privat, von engagierten Gruppen, Initiativen, Kirchen, Weltläden etc. Schon im Ansatz besteht ein großer Unterschied zwischen staatlicher und vor allem kirchlicher EZ, oft stehen sich diese sogar diametral gegenüber. Staatliche EZ hat als Partner Regierungen bzw. staatliche Einrichtungen, kirchliche EZ  dagegen hat als Partner oft Basisgruppen, die sich gegen diese Politik „von außen und oben“ wehren müssen.

Die Weltsicht andiner Völker

„Buen Vivir“ wird zunehmend als mögliche Alternative für das von Europa ausgehende Wirtschaftsmodell diskutiert. Die spirituellen Grundlagen der andinen Weltsicht (wie auch anderer Jahrtausende alter Kulturen) können Auswege aus der Sackgasse aufzeigen, in die uns die „Kosmovision“ (Philosophie, Theologie, Wirtschaft) des christlichen Abendlands weltweit geführt hat. Auf der 3. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla, 1979, wird Kultur folgendermaßen definiert: „Mit Kultur wird die Art und Weise bezeichnet, wie die Menschen eines Volkes ihre Beziehung untereinander, mit der Natur und mit Gott pflegen, um ein wahrhaft menschenwürdiges Leben führen zu können“.

Nach der andinen Kultur findet der Mensch seine Begründung nicht aus sich selbst heraus, sondern in der Beziehung zur Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit dem gesamten Kosmos. Ein Mensch ohne Beziehung ist tot. Wer sich aus dieser Einheit ausklinkt, schadet der Gemeinschaft und setzt gar deren Überleben aufs Spiel. Es gibt keine Insolvenz. Weil jeder lebendiger Bestandteil eines kreativen Netzwerkes ist, kann auch jeder – auch die alte Witwe und das Waisenkind – etwas beitragen und einbringen. Unter einem Totalausfall (z.B. Hungerstod) würde die gesamte Gemeinschaft, ja sogar der ganze Kosmos leiden. Schon allein deswegen war es undenkbar, ein Mitglied der Gemeinschaft dem Elend oder gar Hungerstod zu überlassen.

Deuten der Situation im Lichte des GlaubensKapitalismus als Religion

Freie Fahrt den Tüchtigen, dem Kapital und den Konzernen! Wer arm ist, ist selbst schuld, denn jeder hat die gleichen Chancen! Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral und alternativlos. Das sind die nicht hinterfragbaren Dogmen dieser Religion. Die Hohen Priester dieser global herrschenden Religion wollen ihre „Frohe Botschaft“ tief in die Hirne und Herzen der Menschen verpflanzen – und es scheint ihnen zu gelingen! Ihr Gott ist das Geld, und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. Nachdem man sich über Jahrtausende hinweg bemüht hat, diese Gier und den blanken Egoismus zu zähmen, wird nun der nackte Egoismus zum Prinzip erhoben und zum Motor jeder menschlichen Entwicklung gemacht. Die falschen Propheten des Unheils gilt es als solche zu entlarven, denn sie führen die Welt in den Abgrund.

In „Laudato si“ weist Papst Franziskus auf die Zusammenhänge und Ursachen hin und erinnert an die ganzheitliche, biblische Perspektive: Angefangen von der Ursünde wie Gott sein zu wollen, dem Tanz um das Goldene Kalb, dem Turmbau zu Babel und der Botschaft der Propheten: Die in jedem Menschen innewohnende Versuchung, mehr sein und haben zu wollen als der andere, sich selbst und seine eigenen Interessen zum obersten Maßstab zu machen und selbstgeschaffene Götter anzubeten, führt zum Bruch der Menschen untereinander, mit der Schöpfung und mit Gott. Die satanische Versuchung, wie Gott sein zu wollen, ist in der bestehenden Weltordnung nun erstmals global installiert, sie ist „Fleisch geworden“.

In Asien und Lateinamerika spricht man bereits vom Ende des Zeitalters des „christlichen Abendlandes“ und von dem Ende einer unipolaren Welt. Gleichzeitig befürchtet man, dass  im Angesicht der bevorstehenden „Machtablösung“ und der zu Ende gehenden Ressourcen die Mächtigen dieser Erde alles unternehmen werden, um noch so viel wie möglich für sich herauszuholen.

Die G20 – Initiative: Die neue Partnerschaft der Regierungen mit privaten Investoren

Die Staatschefs der wirtschaftsstärksten Länder werden sich zum G20-Gipfel am Freitag und Samstag in Hamburg treffen, um darüber zu beraten, wie sich die herrschende Wirtschafts- und Weltordnung widerstandsfähig machen kann, um trotz der sich verschärfenden Krisenerscheinungen weiter bestehen zu können. Im Zentrum steht dabei die Frage danach, wie wirtschaftliches Wachstum in der Welt befördert werden kann. Schon diese Fragestellung macht klar, dass alle, die sich einer solchen wirtschaftlichen Ordnung widersetzen, in der die einen auf Kosten der anderen immer mehr Kapital anhäufen, weder eingeladen noch repräsentiert sind. Umso wichtiger ist es, mit möglichst vielen die grundsätzliche Kritik an der Form dieses dem System immanenten Wachstumswahnes deutlich zu machen.

Staatliche Entwicklungsprogramme mit Hilfe privater Investoren

In den letzten Jahren engagieren sich verstärkt Banken und Konzerne in der Entwicklungshilfe – mit Unterstützung der Politik. Bei der UN-Vollversammlung im September 2015 einigten sich die Mitglieder auf folgendes Ziel: Extreme Armut und Hunger sollen bis 2030 weltweit beseitigt werden – und das mit Hilfe der Privatwirtschaft. Die staatlichen Einrichtungen DEG, GIZ und KFW aus Deutschland unterstützen unternehmerische Initiativen in Ländern südlich der Sahara. Weltbank-Präsident Jim Yong Kim sagte, er freue sich über die „Hamburger Prinzipien“, die man wohl auf diesem G20-Gipfel verabschieden werde. „Ganz knapp: Die offizielle Entwicklungshilfe kann das Problem nicht lösen, dafür fehlt einfach das Geld. Privatkapital muss her. Der Schlüssel ist ein funktionierendes Finanzsystem“.

Das neue (und ewig alte) Dogma der Entwicklungspolitik lautet: Arme Länder und arme (besser: zuvor arm gemachte) Menschen in den Weltmarkt zu integrieren, der von wenigen Globalplayern beherrscht wird und denen die Staaten auf dem Weg zu noch größerem Reichtum die Wege bereiten. „Wir helfen euch, eure archaischen Strukturen und Methoden zu überwinden, reichen euch die Hand und helfen euch den Anschluss an die Moderne, an stets höhere Produktion, an die Zivilisation und an alle Möglichkeiten, die der Weltmarkt bietet, zu bekommen. Es ist eine typische Win-Win-Situation – alle gewinnen dabei“. So das stets gleichlautende Credo – und manche glauben dies wirklich!

 Papst Franziskus zu „Entwicklung“

Papst Franziskus wird am 16. Oktober die FAO (Welternährungsorganisation der UN) in Rom besuchen. In seiner Ankündigung am 3. Juli 2017 schreibt er an die Vollversammlung der FAO (in Auszügen): „Nur eine authentische Solidarität wird in der Lage sein, den Hunger zu besiegen. Es geht nicht um einen simplen Fortschritt oder um objektive Entwicklungstheorien, sondern um eine tatsächliche Ausrottung des Hungers und der Mangelernährung […] Was fehlt, ist eine ‚Kultur der Solidarität‘. Gott der Schöpfer hat die Güter dieser Erde allen Menschen anvertraut. Diese Solidarität muss das Kriterium jeglicher internationaler Zusammenarbeit werden.“

Es ist ein grundlegender Wandel unserer Einstellungen, Werte und Grundhaltungen gefordert. Ist dies aber nicht auch die grundlegende Botschaft von Jesus dem Christus? Und wenn nicht wir als Kirche, wer denn sonst könnte dies aufgrund unseres „Basisprogramms“ glaubhafter verkünden als die Kirche Jesu Christi? Doch es gibt gute Ansätze: Kirchliche Hilfswerke, die Diözesen mit ihren weltkirchlichen und caritativen Diensten, Kirchengemeinden, die sich nicht nur um die Instandsetzung ihres Kirchturms kümmern und jeder einzelne engagierte Christ können dazu beitragen, die Welt menschlicher und lebenswerter zu machen. Das wäre dann echte Entwicklung. Wir haben eine „Gute Nachricht“ für diese Welt – und wir dürfen daran glauben!

Zuletzt auch ein gutes Beispiel staatlicher Entwicklungshilfe

Auf Initiative von Norwegen haben religiöse Würdenträger und Vertreter indigener Völker aus aller Welt gemeinsam eine Erklärung zum Schutz der Regenwälder verabschiedet. Es ist das erste Mal, dass christliche, muslimische, jüdische, hinduistische, buddhistische und daoistische Geistliche sich auf die Seite der indigenen Waldvölker schlagen. Dass sich beispielsweise die Pygmäen im Kongo darauf eingelassen haben, ist auch nicht selbstverständlich. Denn in der Vergangenheit hatten Missionare vieler religiöser Strömungen den Waldmenschen ihr Existenzrecht abgesprochen.

Norwegen hat vor mehr als zehn Jahren entschieden, dass ein bedeutender Bestandteil seiner Klimapolitik der Schutz der Regenwälder der Welt sein sollte. Darauf wies Umweltminister Vidar Helgesen in Oslo hin. Rund drei Milliarden Dollar hat das Land seither in den Schutz der Regenwälder investiert. Gemeinsam schlössen sie sich einer Bewegung an, die sich zum Ziel gesetzt habe, die Entwaldung bis 2030 zu beenden, berichtet Achim Steiner an seinem ersten Tag als neuer Chef des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP. Die religiösen Würdenträger bezogen sich mit ihrer Unterstützung ausdrücklich auf die Umweltenzyklika des Papstes, um die „gesamte globale Familie zusammenzubringen und unser gemeinsames Haus“ zu schützen.

Von Willi Knecht

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Der Theologe Willi Knecht war von 1976 bis 1980 als Pastoralreferent in Peru tätig. 2004 promovierte er an der Universität Würzburg über das Thema Kirche und Globalisierung. Seit 2010 in Pension engagiert er sich verstärkt in diversen bundesweiten Initiativen, darunter die „Konziliare Versammlung“ 2012 und die Ökumenische Versammlung 2014.

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