Nach dem Angriff auf Mobaye am 18. September, der von den Séléka-Rebellen zurückgeschlagen wurde – wir waren ja einen Tag zuvor in den Kongo zurückgekehrt, ohne zu wissen, dass am nächsten Morgen die „Anti-Balakas“ angreifen würden – haben wir abgewartet, wie sich die Lage entwickeln würde. „Abgewartet“ – das heißt, unsere Pastoral und unsere zwei Gesundheitsprojekte unter den Flüchtlingen weiterbetrieben und gleichzeitig voller Sorge auf „unser“ Mobaye geschaut.
Gestern haben wir es dann zum ersten Mal wieder gewagt und übergesetzt, für ein paar Stunden. Zwei Christen unserer Gemeinde waren am Wochenende dort gestorben, und so haben wir den verbliebenen Familien unser Beileid ausgesprochen und die frischen Gräber gesegnet.
Ansonsten ist die Stadt menschenleerer als zuvor. Und neue Séléka-Rebellen sind im Ort, die ich vorher noch nie gesehen habe. Sie beschlagnahmen weiter leer stehende Häuser und ziehen dort ein.
Gott sei Dank – unsere Kirche ist nicht beschädigt worden. Aber in unser Pfarrhaus ist wieder eingebrochen worden, unter anderem in mein Zimmer und in das von Prince, unserem Diakon. Das Zimmer von P. Christ-Roi war nicht aufgebrochen worden. Heißt, dass es keine Séléka-Rebellen waren, die den Einbruch begangen haben, sondern Diebe aus unserem eigenen Umfeld, die wussten, dass der Pfarrer nach Bangui versetzt worden war und es in seinem Zimmer nichts mehr zu holen gab.
In das niedergebrannte Stadtviertel konnten wir gestern nicht gehen, aber auch in unserer Nachbarschaft wurden Häuser ein Raub der Flammen. Es reicht, dass jemand in unserem Mobaye das Gerücht verbreitet, ein So-und-So unterstütze vom Kongo aus die „Anti-Balakas“ – und die Séléka-Rebellen plündern sein leer stehendes Haus und zünden es an.
Aus Alindao erreichen uns ähnlich schlechte Nachrichten. Dort lebt die Bevölkerung, die zu Tausenden in einem Camp an der Kathedrale „wohnt“, in ständiger Furcht vor einem Großangriff der „Anti-Balaka“.
„Und was macht die Regierung in Bangui?“ – Diese Frage wird mir oft gestellt. Wenn der Präsident Touadera eine Eigenschaft verkörpert, dann ist es diese: Reiselust! Nach seinem langen USA-Besuch zur Vollversammlung der Vereinten Nationen ist er grad wieder unterwegs. In Russland. Es heißt, zur Geburtstagsparty von Putin. Währenddessen versinkt sein Land im Chaos.
Ärzte ohne Grenzen beginnen Arbeit im Kongo
In einem vorherigen Eintrag hatte ich einmal davon geschrieben, dass bislang keine große Nichtregierungsorganisation, wie z.B. das Rote Kreuz, Unicef oder „Ärzte ohne Grenzen“ unter unseren Flüchtlingen auf kongolesischer Seite tätig sei. Und ich hatte angemerkt, dass dies nicht an deren fehlender Bereitschaft liege, sondern an der alles blockierenden Verwaltung hier im Kongo. Auch P. William hatte das im französischen Fernsehen mit deutlichen Worten angeprangert.
Mittlerweile gibt es eine erste positive Wende: „Ärzte ohne Grenzen“ hat nach drei Monaten des Wartens eine Arbeitserlaubnis erhalten – mit deutlichen Auflagen, aber immerhin. Das internationale Team beginnt jetzt, bestehende kongolesische Gesundheitsposten und Krankenhäuser zu unterstützen – mit Fachwissen, Medikamenten, Bau von Latrinen und zusätzlicher Bezahlung für das lokale Personal.
Auch unser Projekt in Kambo in der Demokratischen Republik Kongo wird davon profitieren. Bedingung war, dass das Team unseres Krankenhauses von Zangba in der Zentralafrikanischen Republik um Mama Marie-Antoinette nun im staatlichen Gesundheitsposten von Kambo arbeitet, Hand in Hand mit dem dreiköpfigen Team vor Ort. Unser System der kostenlosen Behandlung erhalten wir aufrecht – durch den Kauf der Medikamente und die Bezahlung des Personals. In zwei, drei Wochen will Ärzte ohne Grenzen das Projekt übernehmen. Ich halte Euch auf dem Laufenden.
Tiefer Graben zwischen Flüchtlingen und Verbliebenen
Die vergangenen zehn Tage waren wieder sehr gewalttätig in der Basse-Kotto. An zwei Orten haben die „Anti-Balaka“-Milizen Gräueltaten an der muslimischen Zivilbevölkerung verübt, in einem anderen Dorf waren es die Seleka-Rebellen, die zahlreiche Menschen ermordet haben.
In „unserem“ Mobaye herrschen weiterhin die Séléka-Rebellen. Schwer bewaffnet und „beschützt“ von den mauretanischen Blauhelm-Soldaten. Es ist ruhig in der Stadt. Sehr ruhig.
Gestern haben wir nochmals für ein paar Stunden übergesetzt. Die Séléka-Rebellen verhalten sich uns gegenüber „neutral“; einige begrüßen uns.
Gleichzeitig setzen sich ganz neue Gruppendynamiken in Gang. Die in Mobaye verbliebene Bevölkerung (etwa 5 Prozent) blickt zunehmend mit Verachtung auf die geflohene Mehrheit im Kongo. Auch wir haben das von zwei unserer Gemeindemitglieder zu spüren bekommen. Sie werfen uns vor, sie im Stich gelassen zu haben. Unsere pastorale und humanitäre Arbeit unter den Flüchtlingen im Kongo interessiert sie nicht. Demgegenüber werfen die Geflohenen den in Mobaye Verbliebenen Kollaboration mit den Séléka-Rebellen vor. Es stimmt: Ohne Zivilbevölkerung könnte die Rebellentruppe in Mobaye nicht existieren.
Der Krieg hat es schon jetzt geschafft, einen tiefen Graben in unsere Gemeinde zu reißen. Um diesen Eintrag aber nicht nur mit Frustrierendem zu schließen, schicke ich Euch ein Foto vom kleinen Bernard hinterher. Einer der unzähligen zentralafrikanischen Flüchtlingskinder im Kongo. Er hat es hier im Krankenhaus soeben geschafft, dem Malaria-Tod von der Schippe zu springen.
Von Pater Olaf Derenthal
Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao. Wegen zunehmender Konflikte zwischen den Rebellen dort ist er mit seinen Mitbrüdern vorübergehend in den benachbarten Kongo geflohen. Hier finden Sie Auszüge aus seinem Blog.