Während meiner fünftägigen Solidaritätsreise nach Kuba habe ich viele Begegnungen und Gespräche führen können. Die Gespräche mit Vertretern der Laien der kubanischen Kirche und das Studium ihrer Publikationen waren sehr aufschlussreich.
Die Laien in Kuba sind in einem guten Sinn und ohne Abgrenzung zum Klerus und den Ordenschristen sehr selbstbewusst. In ihrem Kalender für das Jahr 2018 ist gleich auf der ersten Seite zu lesen: „Wir sind die Protagonisten“. Und darunter: „Die Laien machen 99 Prozent der Kirche aus“.
Sie verstehen sich als die Mitte der Kirche und wollen die ganze Gesellschaft bis zu den Rändern mit dem Geist des Evangeliums durchdringen und verändern. Wesentliche Themenfelder und Aufgaben sind für sie die Familie sowie die Erziehung und Bildung von den Kindergärten über die Schulen bis zu den Universitäten, die Arbeitswelt und der Mittelbau im wirtschaftlichen Leben. Sie betrachten die Familie als Kern der Gesellschaft, in der die Werte und Tugenden aus dem Evangelium vermittelt werden.
Die Laien in Kuba wissen aus Erfahrung – mehr noch als bei uns – dass die starke Migration aus Kuba und die wirtschaftlichen Verhältnisse viele zerbrochene und zerrüttete Familien verursachen. Sie wollen die Familie stärken, die aus der Ehe hervorgeht, in der Kinder geboren und erzogen werden, die dann für Kirche und Gesellschaft wirken können. Die Familien sind Schwerpunkt der Laienarbeit.
Mit der Familie hängt eng die Bildung der Schüler und Studenten zusammen. In Kuba liegt die Bildung monopolistisch in der Hand des Staates. Die Laien versuchen, subsidiär und komplementär die Bildung der Schüler und Studenten zu erweitern, damit sie auch den christlichen Humanismus lernen; aus den Werten des Evangeliums sollen sie ihr Leben gestalten und die Tugenden, die die Kirche lehrt, in ihr Handeln einbeziehen können.
Zweiter Schwerpunkt der Laien ist die Welt der Arbeit. Auch hier konzentrieren sie sich auf die Mitte. Das ganz normale Arbeitsleben soll von den Prinzipien der christlichen Soziallehre durchdrungen werden, weil dadurch das Bruttosozialprodukt, das den Lebensstandard aller erhöht und aus dem auch die Armen und Randständigen versorgt werden können, angehoben wird. In den Arbeitsprozessen sollen die drei Prinzipien der christlichen Soziallehre – Personalität, Subsidiarität und Solidarität – eine größere Rolle spielen. Dadurch wird die Arbeitswelt human und auch effizient.
Die kommunistische Planwirtschaft handelt oft an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Deshalb ist es wichtig, die Personen, die produzieren und die, die konsumieren, mehr im Blick zu haben und nicht irgendeinem theoretischen Wirtschaftsplan zu folgen. Außerdem sollen Wirtschaft und Handel vom Prinzip der Subsidiarität geleitet sein, die den einzelnen Personen und auch Gruppen sowie Betrieben ihre Eigenständigkeit einräumt und nicht dirigistisch Eigeninitiativen unterdrückt. Die Solidarität in der Arbeitswelt, in der Produktion und im Handeln schafft Gemeinsinn und aus dem Gemeinsinn entsteht das Gemeinwohl.
Damit ist verbunden, dass den Menschen in Kuba das nötige Know-how vermittelt wird, um kleine Betriebe im Handwerk, Tourismus und Handel, die seit einigen Jahren vom Staat erlaubt werden, zu gründen und zu führen, weil auch dadurch die Mitte gestärkt und gefördert wird, was der ganzen Gesellschaft zugutekommt.
Die Laien in Kuba habe ich als sehr realistische Kirchenmitglieder sowie Bürgerinnen und Bürger im Staat erlebt. Sie handeln und propagieren, was auch die ganze Kirche weltweit nicht vergessen darf: Die Laien machen 99 % der Kirche aus und ihre Aufgabe ist es, die Gesellschaft mit den Werten und Prinzipien des Reiches Gottes – der Gerechtigkeit, des Friedens und des Wohlergehens aller – zu durchdringen. Sie sind wichtig für intakte Familien und für umfassende gesamtmenschliche Bildung, um die zukünftigen Führungskräfte zu fördern und den Mittelstand, der das Bruttosozialprodukt erwirtschaftet, zu stärken. Aus einer starken Mitte kann die Kirche an die Ränder gehen und auch an den Armen und Marginalisierten ihre Aufgaben erfüllen.
Von Erzbischof Dr. Ludwig Schick
Erzbischof Dr. Ludwig Schick ist Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz.