„St. Peter in the pub“ – das ist nicht einfach der Name eines Projekts, sondern die Wurzel einer neuen Pfarrei namens „St. Peter in Carlton“: in einem Stadtteil von Lincoln startete sie 2007 mit einem monatlichen Gottesdienst in einem Pub.
Carlton ist ein großes Neubaugebiet. 1.000 Häuser sind bereits gebaut, weitere 2.500 sind geplant. Was nicht vorgesehen ist, ist eine Kirche oder ein kommunales Gemeinschaftshaus. Not macht erfinderisch, der damalige Pfarrer startete mit den Gottesdiensten im Pub; eine Krabbelgruppe und ein Bibelkreis kamen hinzu. Der Gottesdienst wurde Sonntagvormittags gefeiert, bevor der Pub öffnete. Der Besitzer wollte irgendwann nicht mehr. Mittlerweile findet er in einer Sporthalle einer Grundschule statt.
Seit eineinhalb Jahren leitet James die Pfarrei. Ihm fehlt das, was wir in den vergangenen Tagen so sehr bewundert haben: diese gewisse Leichtigkeit und feste Überzeugung, dass das, was als FreshX angefangen wird, gut werden wird. Diese fehlende Zuversicht und Begeisterung hat uns zuerst irritiert, schließlich beruhigt und ermutigt: FreshX lebt davon, dass neue Dinge ausprobiert werden – die Möglichkeit des Scheiterns inklusive. Es ist nicht immer leicht, überhaupt anzufangen.
Für James ist das Besondere an seiner Pfarrei, dass sie „Kirche ohne Kirche“ ist. Gefühlsmäßig der traditionellen Kirche sehr nahe, bietet er Gottesdienste in einer Art an, wie sie zu den Besuchern passt: Beginnend mit Kaffee und einem kleinen Snack, in Stuhlreihen und mit wenigen Tischen. „Wir sind sehr reduziert“, erzählt er uns, unter anderem in der Musik. Nach dem Gottesdienst können sich die Besucher bei einer der Familien treffen und weiter miteinander erzählen; einmal im Monat besteht Gelegenheit zum gemeinsamen Mittagessen, einmal im Monat feiern sie Eucharistie. Als Erinnerung an die Wurzeln stehen auf den Tischen Blumen in Bierflaschen. Rund 40 Erwachsene und 20 Kinder zählen zum Stamm derer, die regelmäßig kommen.
Daneben existiert die Krabbelgruppe weiter, der Bibelkreis dagegen ist eingeschlafen. James ist derzeit damit beschäftigt, die Gruppen aufrecht zu erhalten und bekannt zu machen. Er bereitet die offizielle Gründung der Pfarrei „St. Peter in Carlton“ am 23. April vor.
„Die Kirche braucht heute etwas anderes als vor 30 Jahren“
Das Gegenteil von James ist einer von zwei Weihbischöfen der Diözese Lincoln, David Court. Er hat sich heute sehr lange Zeit für uns genommen und dabei viel von seinen bisherigen Erfahrungen in verschiedenen Pfarreien erzählt, in denen er früher gearbeitet hat. Sie waren sehr unterschiedlich: Mal in einer Großstadt, mal im ländlichen Raum, auch in einer Kleinstadt. Er strahlt eine große Liebe zu den Menschen aus. Wichtig ist ihm die Antwort auf die Frage: „Wie sorgen wir dafür, dass sich Menschen, die wir bisher nicht erreichen, wohl fühlen?“ – Weniger wichtig ist die Frage, ob sich diejenigen über die Veränderungen freuen, die ohnehin schon da sind. Davon ausgehend ist es ihm in einer Pfarrei gelungen, neben gut besuchten Wochenendgottesdiensten einen weiteren Gottesdienst zu entwickeln – in einem nicht-kirchlichen Gebäude und durch eine sehr moderne Form im Hinblick auf Liturgie und Musik.
Er erzählt uns auch von der Herausforderung in einer anderen Pfarrei, wo er ursprünglich sechs Wochenendgottesdienste zu halten hatte. Nach einem neun Jahre dauernden Prozess blieben vier übrig. Der früheste, Sonntagmorgens um 9 Uhr, fand in einer sehr ruhigen und kontemplativen Art statt. Das Traditionelle zeigte sich in der Musik, in der „vollen Liturgie“ und darin, dass er im Priestergewand zelebrierte. Der spätere Gottesdienst war sehr zeitgemäß, David feierte ihn mit Priesterkollar, aber ohne Gewand. Die Musik war eine Mischung zwischen traditionell und sehr modern. Die Form sprach vor allem Familien an.
Am Abend hieß das Motto: relaxed und informell. Der Gottesdienst folgte keinerlei liturgischem Ablauf, eine Band machte Musik, David hielt ihn in Freizeitkleidung. Und schließlich gab es einen intimen Gottesdienst in einer anderen, sehr kleinen Kirche. „Jeder Gottesdienst hat andere Menschen angesprochen“, berichtet David.
Der Prozess hin zu dieser neuen Gottesdienstordnung brauchte viel Zeit, weil David an die Evolution von Kirche glaubt: Auf diesem Weg will er möglichst viele Menschen mitnehmen. Er diskutierte viel, stellte seinen Plan vor, änderte ihn, setzte ihn dann aber auch um: probeweise zunächst. Auch David ist ein Verfechter davon, Dinge sterben zu lassen, die nicht mehr funktionieren; und er geht noch einen Schritt weiter und ist bereit, Dinge „zu töten“, wenn nötig.
Im Rückblick sagt er: „Ich habe Regeln gebrochen. Der Bischof wusste, dass ich diese Regeln gebrochen habe, und hat es erlaubt“. Heute – selbst Weihbischof und als solcher verantwortlich für missionarische Bewegungen – sieht er es als seine Aufgabe an, die Pfarrer in seinem Bistum zu ermutigen, neue Wege zu gehen, ihnen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Ermutigung geschieht durch permanentes Training. Er ist überzeugt, dass nicht in erster Linie die Pfarrer Veränderungen skeptisch gegenüber stehen, sondern die Gemeinden. Andererseits: Wenn Pfarrer keine Veränderungen wollen, wird es schwer, räumt er ein und mahnt zugleich: „Aber sie sollten wissen, dass die Kirche heute nicht mehr das braucht, was sie vor 30 Jahren brauchte.“
Bischof David zur Seite steht Richard Steel. Er ist für die Umsetzung von missionarischen Projekten in den Pfarreien zuständig. Er weiß, dass es in vielen Pfarreien konfliktreich sein kann, wenn sich Dinge radikal ändern. Deshalb gibt es seit 2008 die Möglichkeit, dass auf dem Gebiet einer nicht lebendigen Pfarrei eine neue, lebendige Pfarrei gegründet werden kann – mit Erlaubnis des Bischofs, und wenn nötig ohne den örtlichen Pfarrer, sondern mit einem neuen Pfarrer. Das ist die Idee von „mixed economy“: traditionelle Strukturen und FreshX existieren nebeneinander. „Das führt zu mehr Verschiedenheit innerhalb einer Pfarrei, je nach Lebenssituation der Menschen und ihren Bedürfnissen.“ Er sieht darin die Zukunft: kleinere Gruppen, die mit dem Evangelium als ihr Zentrum gemeinsam wachsen. Richards Überzeugung lautet: Kirche ist nicht Pfarrer plus Gebäude plus Menschen – sondern kleine lebendige Gruppen mit Angeboten wie Frühstücksgottesdienst oder Gottesdienst im Pub.
Wir haben unseren Tag heute in Lincoln verbracht. Dort haben wir nicht nur neue Erkenntnisse gesammelt, sondern auch die beeindruckende Kathedrale besichtigt. Wir hatten das Glück, einen sehr enthusiastischen Führer zu haben. Er versuchte gar nicht erst, uns dieses Gebäude in seiner Ganzheit vorzustellen, sondern konzentrierte sich auf Details, die den meisten Besuchern wohl gar nicht auffallen würden. Das geschah auf eine Weise, die sein großes Wissen und seine Liebe zu dieser Kathedrale zeigte, und zugleich sehr unterhaltsam war.
Von den Kundschaftern des Bistums Speyer, Brigitte Deiters, Felix Goldinger, Joachim Lauer.