Der Krieg im Herzen Afrikas wird angeheizt von ausländischen „Warlords“ – Kriegsherren, die in ihren Herkunftsländern (Tschad, Niger, Sudan) keine leichte Beute machen können und sich deshalb auf das schwächste und instabilste Land der Region stürzen, die Zentralafrikanische Republik.
Schwach und instabil ist unser Land vor allem deshalb, weil es zum Spielball geopolitischer Interessen geworden ist, ein Nebenkriegsschauplatz, auf dem sich Franzosen, Chinesen, Amerikaner und seit kurzem auch Russen tummeln. Es geht um Gold, Diamanten, Erdöl und um neuen militärisch-politischen Einfluss der Weltmächte. Und lokale korrupte politische Eliten mischen kräftig mit.
Aber wie motiviert man ein Volk zum Krieg, das eigentlich gar keine Lust auf Krieg hat? Man gießt das Öl von Religion und ethnischer Identität ins Feuer! In diesem Blog hatte ich schon mehrfach davon geschrieben, dass der Name Gottes auf islamischer sowie auf christlicher Seite instrumentalisiert und missbraucht wird. Ähnliches geschieht im Namen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe. Hier am Südrand des Landes leben vor allem drei ethnische Gruppen: die Sangos, ein traditionelles Volk von Fischern, deren Lebensader der Ubangi-Fluss ist, die Ngbugus, eine große Gruppe, die traditionell vom Ackerbau lebt, und die Mbororos oder auch Peuls genannt, ein (halb-)nomadisches Volk von Viehzüchtern, das in verschiedene Untergruppen aufgespalten über ganz West- und Zentralafrika verbreitet lebt. Sie sind es bis zum Ausbruch des Krieges gewesen, die das Land mit Fleisch- und Milchprodukten versorgten.
Während Sangos und Ngbugus zum großen Teil Christen sind, in etwa gleichermaßen auf die katholische und die evangelischen Kirchen verteilt, haben die Mbororos schon früh den Islam angenommen, allerdings sind Elemente ihrer traditionellen Religion weiterhin stark in ihrem Alltag verankert.
Neben der religiösen Identität pfropft sich seit Ausbruch der Rebellion auch die ethnische Zugehörigkeit auf den Konflikt auf.
Die Rebellengruppe, die unsere Region der Basse-Kotto in ihre Gewalt gebracht hat, nennt sich UPC – „Union pour la Paix en Centrafrique“ – „Union für den Frieden in der Zentralafrikanischen Republik“. (Alle Namen der verschiedenen Seleka-Fraktionen sind makabrer Zynismus. Es handelt sich ausnahmslos um Mörderbanden). Sie setzt sich zu 90 Prozent aus Angehörigen der Volksgruppe der Mbororos zusammen. Schon ihr äußerliches Erscheinungsbild verrät ihre ethnische Zugehörigkeit. Und jetzt passiert folgendes: Die Viehhirten im Busch werden mit den Seleka-Rebellen gleichgesetzt. Auf eine Kurzformel gebracht, die religiöse, ethnische und politische Zugehörigkeit zusammenwirft, heißt das dann: Mbororo = Muslim = Seleka-Rebell = Feind der Sangos und Gbugus = Feind der Christen.
Die Gemengelage von Wahrheit und Verleumdung in dieser Gleichung ist unüberschaubar, die Wirklichkeit hochkomplex. Mbororos haben mit den Rebellen kollaboriert, Selekas haben die Viehherden der Mbororos zu Tausenden geplündert. Beides ist wahr.
Die im Busch lebenden Mbororos wurden rasch zu lebendigen Zielscheiben der „Anti-Balaka“-Milizen. Viele fanden einen gewaltsamen Tod. Männer, Frauen, Kinder, die niemals eine Waffe in die Hand genommen haben, starben.
Geflohen sind sie dann in die Dörfer, die in der Hand der Seleka-Rebellen waren und bis heute sind. Was sollten sie auch anderes tun? Aber da wartete der Hunger auf sie. Und tötete nochmals viele unter ihnen. Innerhalb der ersten Jahreshälfte 2018 sind knapp 300 Mbororos in Langandji, einem großen Dorf etwa 25 Kilometer von Mobaye entfernt, verhungert.
Was tun? – Essen kaufen und verteilen? Jeden Tag? „Gutes tun“ ist in diesen Tagen in der Zentralafrikanischen Republik immer hochpolitisch, weil parteiisch.
Irgendwann haben wir in einem unserer Caritas-Treffen die Not der Mbororos zur Sprache gebracht. Mit Geld aus unserer örtlichen Caritas-Kasse haben wir Maniok, Zucker, Salz und Seife gekauft. Den Imam von Mobaye habe ich gebeten, uns eine Liste der Mbororo-Familien zu erstellen, die zu der Zeit gerade in Mobaye lebten und vom Hungertod bedroht waren.
An einem Samstagvormittag haben wir die Familienoberhäupter von ca. 30 Großfamilien in unseren Pfarrsaal eingeladen und das kleine Lebensmittelpaket mit einigen Kleiderspenden, die wir aus Bangui erhalten haben, überreicht.
Was mussten sich unsere Caritas-Mitarbeiter in den Tagen danach nicht alles anhören, in ihrem Stadtviertel, auf dem Markt, auf den Feldern? „Die Caritas und ihre Priester – heute geben sie den Mbororos Nahrung, und wenn diese wieder zu Kräften gekommen sind, bringen sie uns alle um. Und die Christen bekommen von dem Kuchen nichts ab.“ Niemand hat sich getraut, mir persönlich einen solchen Vorwurf zu machen. Irgendwo spürt dann wohl doch jeder Christ, dass diese Haltung nicht ganz so christlich ist. Aber böse Worte machten die Runde, und so war ich gezwungen, in einer Sonntagspredigt dieses Problem auf den Tisch zu bringen:
„Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen …“ (Lk 10,29f). Ich glaube, nicht alle haben sich vom Beispiel des „Barmherzigen Samariters“ überzeugen lassen, dass es gerade „der Andere“ ist, der „mein Nächster“ sein soll … Aber natürlich sehe ich auch die Position der Verärgerten: Das Haus niedergebrannt, alles verloren, gelitten auf der Flucht in den Kongo oder in den Busch – und dann bekommen „die Anderen“ Hilfe. Da macht die eigene Not blind und wütend zugleich.
Deshalb helfen wir im Stillen. Jeden Tag kommen Mbororos zu uns, vor allem Kinder. Viele sind unterernährt. Maurice, unser Koch, gibt ihnen zu essen, ganz diskret, hinter’m Haus. Ich weiß, dass das keine Lösung ist …
Wendet man sich an die staatlichen Stellen, erhält man ein Achselzucken, die Nichtregierungsorganisationen schicken Fotos nach Bangui und nichts passiert, die Blauhelmsoldaten verteilen ihre Essensreste unter den Kindern (das ist immer noch besser als Munition und Kalaschnikows unter die Seleka-Rebellen zu bringen, was sie sonst nämlich immer gerne tun).
Und so machen auch wir irgendwie weiter, in diesem Land, das seinen „Warlords“ – seinen Kriegsherren weiter auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Auch wenn uns die Phantom-Regierung in Bangui versichert, dass alles unter Kontrolle sei. Nichts ist bei uns in der Basse-Kotto unter Kontrolle. Und die Schwächsten der Zivilbevölkerung leiden zuerst.
Von Pater Olaf Derenthal
Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao. Wegen zunehmender Konflikte zwischen den Rebellen dort ist er mit seinen Mitbrüdern vorübergehend in den benachbarten Kongo geflohen. Hier finden Sie Auszüge aus seinem Blog.