Entwicklung ist der neue alte Name für Frieden

Deutschland soll international mehr Verantwortung übernehmen – an dieser Forderung muss sich die deutsche Politik neu ausrichten. Welche Impulse die Kirche dabei geben kann, erörtern Gertrud Casel von der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Kardinal Reinhard Marx und Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel im Buch „Deutschlands neue Verantwortung“. www.deutschlands-verantwortung.de

Der Präambel unseres Grundgesetzes zufolge ist es Aufgabe deutscher Außenpolitik, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Doch die Implementierung dieser Vorgabe will nicht gelingen, wie die mangelhafte Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung von 2004 zeigt. Auch das „Weißbuch 2016“ der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik greift zwar Themen wie die Resilienz von Gesellschaften auf, bleibt aber doch weitgehend in Kategorien nationaler Sicherheitsinteressen gefangen. Nicht zuletzt ist die deutsche Rüstungsexportpolitik friedenspolitisch eine Bankrotterklärung.

Die militärische Komponente nur letztes Mittel

Entwicklung ist der neue Name für Frieden, so hieß es in der Enzyklika „Populorum Progressio“ 1967, mitten in der Zeit des Kalten Krieges. Die Kirchen haben in ihren friedensethischen Perspektiven nachhaltige Entwicklung, globale Gemeinwohlorientierung und Achtung der Menschenrechte als zentrale Elemente internationaler und innerstaatlicher Friedensfähigkeit beschrieben. Sicherheit anzustreben gehört zu den Aufgaben einer Friedenspolitik, die aber viel weiter reicht: Christliche Friedensethik steht für einen Umgang mit Konflikten, der die Überwindung von Gewalt anstrebt. Hier gilt die militärische Komponente tatsächlich nur als letztes Mittel. Ein dementsprechendes friedenspolitisches Leitbild muss aus Sicht der Kirchen die Grundlage für die deutsche Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik sein! Es entspricht am ehesten Deutschlands historischer und aktueller Verantwortung in Europa und der Welt.

Mit der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter der Überschrift „Transformation unserer Welt“ eine neue Grundlage für die internationale Zusammenarbeit beschlossen, die in den Menschenrechten verankert ist. Unter „People, Planet, Prosperity, Peace, Partnership“ ist in der Präambel festgehalten: „Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden.“ Wir brauchen eine tief greifende Transformation nicht nur von Wirtschaft, Wachstum und Handel, von Konsum, Produktion und Mobilität, sondern auch der Politik im globalen Norden und Süden.

Friedenspolitisch braucht es zunächst klare Zielvorgaben für Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik. Für die Umsetzung gilt es insbesondere zu beachten:

  • Kohärente Politik für nachhaltige Entwicklung und Frieden braucht konsequente politische Steuerung jenseits von engen Ressortschubladen.
  • Die europäische Integration muss auch in einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik voranschreiten.
  • Militärische Interventionen können als Ultima Ratio im besten Fall die Waffen zum Schweigen bringen und dem Frieden eine Chance geben.

Das Bundeskanzleramt hat die Federführung übernommen

Für die Umsetzung der „Agenda 2030“ in Deutschland hat das Bundeskanzleramt die Federführung übernommen. Ein Staatssekretärsausschuss unter Beteiligung aller Ressorts wird die entsprechende Nachhaltigkeitsstrategie begleiten.

Ein Ziel der „Agenda 2030“ ist, „friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung zu fördern“ (Ziel 16). Das heißt zum Beispiel: helfen bei Good Governance, bei Sicherheitssektorreform gerade in fragilen Lagen durch Ausbildung und Einsatz von Fachkräften, das heißt aber auch: deutsche Rüstungsexporte tatsächlich restriktiv kontrollieren. Nachhaltige Entwicklung muss zum Königsweg der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik werden!

Von Gertrud Casel

Dieser Beitrag ist dem Buch „Deutschlands Neue Verantwortung“ entnommen. Der Band präsentiert Beiträge der wichtigsten Köpfe aus Politik, Wissenschaft und Praxis, interessante Lesestücke zu brisanten Themen und eine klare Handlungsempfehlung an die Politik. Nicht zuletzt zeigt die Bekämpfung von Fluchtursachen, wie anspruchsvoll und notwendig die neue außenpolitische Verantwortung Deutschlands ist. Neben Gertrud Casels Artikel sind darin auch Beiträge vom Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel sowie vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx zu finden.

Gertrud Casel (62) ist seit Juni 2002 Geschäftsführerin der Deutschen Kommission Justitia et Pax sowie der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zu entwicklungs- und friedenspolitischen Fragestellungen. Zuvor war sie Referentin im Bundesfamilienministerium, wo sie sich mit jugend- und gleichstellungspolitischen Grundsatzfragen beschäftigte. Im zivilgesellschaftlichen Bereich engagierte sie sich als Bundesvorsitzende des bdkj, eines Dachverbands katholischer Jugendverbände, sowie als Generalsekretärin der Katholischen Frauen­gemeinschaft Deutschlands.

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