Father Shay Cullen über kirchlichen Kindesmissbrauch

Father Shay Cullen lebt seit 1969 auf den Philippinen. © Father Shay Cullen

In der katholischen Kirche finden ernsthafte und tiefgreifende Veränderungen statt, um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche und Laien anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass die Täter strafrechtlich verfolgt werden und die Opfer Heilungschancen bekommen. Dies ist das verspätete Ergebnis von Generationen sexuellen Kindesmissbrauchs und der Leugnung und Vertuschung dieser Verbrechen durch einige Bischöfe und Kardinäle auf der ganzen Welt.

Mittlerweile ist die Kirche als Institution insgesamt in der Krise. Papst Franziskus hat kürzlich erstmals ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Opfer geschützt und Verdächtigte im Vatikan angeklagt werden sollen, und dies kurz darauf auf die Diözesen und Ordensgemeinschaften weltweit ausgeweitet. Dieses Nulltoleranzgesetz ist ein Modell für andere. Jede Beschwerde wegen Kindesmissbrauchs muss unverzüglich angezeigt und untersucht werden.

Auf den Philippinen hat die Verhaftung und Inhaftierung eines US-amerikanischen Paters namens Kenneth Hendricks, 78, in Naval, einer Stadt in der Provinz Biliran, letzten Dezember für Aufsehen gesorgt. Dort sind angeblich Dutzende von Jungen sexuell missbraucht worden. Dies hat Aufmerksamkeit auf die Kultur des Schweigens, des Vertuschens und der Untätigkeit von anderen Geistlichen, Beamten und katholischen Bürgern gelenkt.

Father Shay Cullen mit Kindern auf den Philippinen. © Father Shay Cullen

Erst als die mutmaßlichen Verbrechen den US-amerikanischen Behörden gemeldet wurden, wurde ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren eingeleitet. Letztlich wurde in Ohio Klage gegen Hendricks erhoben, wo ein Richter einen Haftbefehl ausgestellt hatte.

Die Tatsache, dass sich kein Einwohner vor Ort getraut hat, den Priester, trotz Ortskenntnis und Beschwerden mehrerer mutmaßlicher Opfer, anzuklagen, deutet auf die Angst vor Vergeltung hin, wenn man einen Priester der katholischen Kirche angreift. Eine Ära der Angst und der Straflosigkeit geht in vielen Ländern zu Ende, aber noch nicht auf den Philippinen.

Die wenigsten Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern durch Geistliche kommen ans Tageslicht. Kardinal Luis Antonio Tagle sagt, dass sie intern untersucht werden, was bedeutet, dass es keine staatlich-rechtliche Bestrafung für die Täter und keine Gerechtigkeit für die Opfer gibt. Es herrscht anscheinend Straflosigkeit – das muss sich ändern!

Geistliche weltweit sind zutiefst beschämt

Die weltweite Scham und die weit verbreiteten Berichte von Kindesmissbrauch haben bei vielen Katholiken den Glauben geschwächt und in Frage gestellt. Manche haben sogar die Kirche verlassen. Die Geistlichen, die keinen Missbrauch begangen haben, sind zutiefst beschämt über die schrecklichen Verbrechen gegen Kinder, die viele von ihnen aufgrund von Ignoranz oder Untätigkeit geschehen ließen. Sie hatten Angst, einen Mitbruder zu melden. Sie waren zu feige, um die Opfer zu schützen. Dieses Schweigen ist eine Form der Zustimmung. Nun haben Diözesen strenge Regeln und Vorschriften eingeführt, um Kindesmissbrauch zu melden und Täter anzuzeigen.

Schockiert uns das schwere Fehlverhalten von Geistlichen, Bischöfen und Kardinälen auf der ganzen Welt? Sie sollen ein gutes Beispiel für das christliche Leben durch ein Leben der Tugend, der Liebe zur Gerechtigkeit und des Schutzes von Kindern geben. Aber viele von ihnen sind gescheitert. Ist unser Glaube erschüttert, geschwächt und nutzlos geworden? Für einige ist die Antwort ja. Für andere nein, weil ihr Glaube nicht in erster Linie in der Kirche als menschlicher Institution, sondern in der Person Jesus von Nazareth und seinen Werten des Evangeliums begründet ist.

Es ist eine Zeit der Herausforderung für uns Katholiken und besonders für Bischöfe und Priester, unseren Glauben zu prüfen und zu befragen, ob es der Glaube an die Person Jesu ist und ob wir eine persönliche Beziehung zu ihm haben. Engagieren wir uns für seine einfache, aber fundierte Lehre? Gründet unser Glaube in seinen moralischen Grundsätzen und in der Würde eines jeden Menschen? Glauben und leben wir seine Werte in Bezug auf soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Mitgefühl und Liebe und insbesondere auf die Unschuld und den Schutz des Kindes und des Fremden? Drückt sich unser Glaube täglich für Gerechtigkeit und den Schutz des Kindes und des Fremden aus? Wenn nicht, so ist unser sogenannter Glaube tot (Jak 2,26).

Die von Jesus gegründete Kirche ist eine Gemeinschaft. Sie ist das Volk Gottes, alle Gläubigen und Nichtgläubigen guten Willens, die sich im Glauben und der Praxis dessen befinden, was Jesus gelehrt und getan hat, von dem wir aufgefordert werden, ihm zu folgen.

Kirche hat die Lehre Jesu oft verraten

Als Institution ist die Kirche eine menschliche Schöpfung mit einer Hierarchie, einer Befehlskette, einer Bürokratie, einem Rechtssystem, Disziplin, Regeln und Vorschriften und einer sakramentalen Praxis, von der man uns sagt, dass sie Erlösung bringt. Aber diese institutionelle, sehr menschliche Kirche hat Jesus und seine Lehre in vielen Fällen verraten. In sehr vielen Ländern kamen Skandale aufgrund des sexuellen Missbrauchs an Kindern und anderer gravierender Vergehen von Klerikern und Bischöfen ans Tageslicht. Bischöfe haben nicht auf die Opfer gehört und nicht sofort reagiert. Sie haben den Kindern Mitleid und Fürsorge, Heilung und Gerechtigkeit vorenthalten. Verbrechen wurden vertuscht, Priester versetzt. Dadurch wurde ihnen ermöglicht, wieder Kinder zu missbrauchen. Das ist ein Verbrechen.

Jesus sagt, ein Kind sei das Wichtigste im Reich Gottes, nicht die Erwachsenen (Mt 18,1-7). Das Reich Gottes ist hier auf der Erde. Viele Bischöfe sind zurückgetreten, weil sie dem nicht gefolgt sind. Jesus sagt, dass ein symbolischer Mühlstein um den Hals eines verurteilten Missbrauchstäters gebunden und er in den Ozean geworfen werden müsse. Starke Worte, mit denen Jesus die Unschuld von Kindern unterstreicht und betont, wie skandalös es ist, sie zu missbrauchen. Wer ein Kind aufnehme, es annehme, es schütze, sagt Jesus, der nehme ihn auf. Welche Herausforderung!

Von Father Shay Cullen SSC

Fr. Shay Cullen, geb. 1943 in Dublin, gehört der Missionsgesellschaft von St. Columban an. Er lebt und arbeitet seit 1969 auf den Philippinen, wo er sich vor allem für Kinder und Jugendliche einsetzt, die Opfer von Missbrauch und Folter sind. Er gründete die Menschenrechtsorganisation PREDA, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

Dieser Kommentar erscheint in der Juli-Ausgabe von DRS.Global, dem Magazin zur weltkirchlichen Arbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

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