Carola Rackete wird im Internet wie eine Heldin gefeiert, während der italienische Staat nach der Festnahme der Seenotretterin als Buhmann dasteht. Dabei retteten Italiener jahrzehntelang Menschen aus dem Mittelmeer, während die anderen EU-Länder, darunter Deutschland, das Problem ignorierten. Italien muss nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ermahnt werden, sondern es braucht ein gemeinsames Engagement, fordert Claudia Zeisel.
Carolas Haar wird zum Meer. In Sozialen Medien kursiert ein Konterfei der „Sea-Watch 3“-Kapitänin, auf dem ihre langen Dreadlocks zu blauen, grünen und schwarzen Wellen werden, die ein Schiff tragen. Zahlreiche Menschen auch in Italien haben dieses Bild von Carola Rackete als ihr eigenes Profilbild gewählt oder es gepostet. Sie wird gerade zur Internet-Heldin. Was stört mich an diesem Bild?
Ich frage mich: Wo sind die Bilder der Italiener, der Fischer, Seeleute, Marinesoldaten, die lange vor der Gründung des Vereins Sea-Watch im Jahr 2015 jahrzehntelang Menschen aus dem Mittelmeer gerettet haben? Vor der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 war die deutsche Öffentlichkeit kaum sensibel für das Thema – während die Italiener damit alleine fertig werden mussten.
Dass jetzt eine deutsche Seenotretterin gefeiert und die Italiener für ihr striktes Verhalten gerügt werden, ist ein Offenbarungseid für die Kritiker. Es zeigt ihre Kurzsichtigkeit in dieser Debatte und stößt obendrein vielen Italienern als „deutsche Überheblichkeit“ auf. Ja, es ist erschreckend, wie radikal und erbarmungslos Italien mittlerweile gegen Migration vorgeht. Und ja, die rechtspopulistische Rhetorik eines Innenministers Matteo Salvini lässt einen Rückfall in dunkelste Zeiten befürchten. Aber diese Politik bleibt auch im Land nicht unwidersprochen. Etwa durch den Bürgermeister des italienischen Dorfes Riace, das als Vorbild für die Integration von Flüchtlingen gilt. Domenico Lucano wurde aus dem Amt gejagt und sieht sich jetzt ebenfalls mit strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert – der Vorwurf: Begünstigung illegaler Einwanderung.
Anstatt einer Seite ihren „Palast“ der moralischen Überlegenheit zu bauen, wünsche ich mir von deutschen und italienischen Aktivisten, Politikern, Kirchenvertretern und Menschenrechtlern vor allem eines: echte, wahrhaftige internationale Solidarität, mit der sie sich gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Populismus stellen.
Von Claudia Zeisel
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