Dieser Tage erzählen wir unseren verschiedenen gastgebenden Gruppen immer wieder, dass wir aus Deutschland kommen, unser Bistum schon im vierten Jahrhundert errichtet wurde und selbst unser Dom schon fast 1.000 Jahre besteht. Die Kirche von Nicaragua existiert erst seit fünf Jahrhunderten und zählt damit noch zu den „jungen Kirchen“.
Wir in Deutschland haben diese Kirchen im globalen Süden lange behandelt, als seien sie Kinder, die von ihren Eltern noch viel Unterstützung brauchen. Seit Jahren aber wächst auch bei uns die Erkenntnis, dass wir diesen jungen Kirchen nicht nur etwas zu geben haben, sondern dass wir auch viel von ihnen lernen können. In diesen Tagen spüren wir dies ganz besonders. Beispielsweise bekommen wir heute Vormittag von einigen kirchlich Engagierten die Strukturen erklärt, unter denen sie es hier in Nicaragua trotz weniger Priester, schwieriger Infrastruktur und manch anderer Probleme geschafft haben, ihrer Kirche neues Leben einzuhauchen.
Wir sind beeindruckt von den vielen Freiwilligen, die unterschiedlichste Dienste übernehmen und sich für diese fortbilden. Wir sind bewegt von der unglaublichen Gastfreundschaft, die uns immer wieder erwiesen wird. Dadurch bleiben wir keine Fremden, sondern werden schnell zu Schwestern und Brüdern. Wir sind angetan von der Fähigkeit und der Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen hier nicht nur frei reden, sondern auch ohne Vorlage beten und dabei ganz authentisch wirken.
Am Nachmittag sind wir zum wöchentlichen Treffen einer abseits gelegenen Kleinen Christlichen Gemeinschaft eingeladen. Die Mittel sind einfach, die Wirkung aber stark: Beispielsweise sind bei den Fürbitten alle dazu eingeladen, für die rechts von ihnen stehende Person zu beten. Beeindruckende freie Gebete, die zugleich eine starke Verwurzelung in Gott wie auch einen großen Respekt vor jedem einzelnen Menschen bezeugen. Beim Friedensgruß umarmt fast jede Person alle Anwesenden sehr herzlich.
Auf Augenhöhe voneinander lernen
Gelernt haben wir in diesen Tagen noch viel mehr, auch dass gesellschaftspolitisches Engagement der Kirche wichtig ist. Hier gibt es landesweit aktuell zwei große Themen: Zum einen soll ein Kanal mitten durch das Land gebaut werden, damit der Welthandel durch die großen internationalen Containerschiffe weiter angekurbelt werden kann. Der Präsident hat schon einen Vertrag mit einem chinesischen Investor geschlossen. Allerdings verdienen die Menschen in Nicaragua so gut wie nichts daran. Außerdem nähme der zehntgrößte See der Erde, der Nicaragua-See, ökologischen Schaden. Damit würde ein riesiges Trinkwasserreservoir vernichtet. Das zweite große Thema: im Vikariat Bluefields werden immer mehr Palmölplantagen angelegt. Palmöl wird seit einigen Jahren in der Lebensmittelproduktion als preiswertes Öl verwendet. Dafür müssen viele Regenwälder gerodet werden. Große ökologische und soziale Probleme sind die Folge. Die Kirche hat den Auftrag, sich – vom Evangelium mit der Vision eines Lebens in Fülle für die gesamte Schöpfung inspiriert – für mehr soziale und ökologische Gerechtigkeit einzusetzen.
Was bleibt vom heutigen Tag? Wir haben sehr deutlich erfahren, dass wir unseren Glaubensgeschwistern auf Augenhöhe begegnen und so viel von ihnen lernen können, was uns bereichert. Wir als alte und manchmal auch müde Kirche lernen von einer jungen und oft lebendigen Kirche.
Ihre Kundschafter aus Nicaragua
Christoph Fuhrbach
Hintergrund
Acht Frauen und Männer aus dem Bistum Speyer sind vom 28. November bis 11. Dezember auf Kundschafterreise in Nicaragua, um die seelsorgliche Arbeit der Kirche kennenzulernen und Anregungen für die Kirchenentwicklung im Bistum Speyer zu erhalten. Dieser Reiseblog erscheint zeitgleich auch auf der Website des Bistums Speyer.
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