Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mombaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao.
In seinem Blog berichtet Pater Derenthal von seinem Alltag als Missionar und Krankenpfleger. In den letzten Tagen besuchte er mit einem Einbaum und zu Fuß verschiedene Dörfer am Ubangi-Fluss an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo. Er lernt in den kleinen Fischerdörfern am Fluss die Außenstationen seiner Pfarrei und die Gläubigen seiner Gemeinde kennen.
Erster Teil: Schule, Gesundheit und dazwischen die Séléka
Am Morgen breche ich auf nach Kpossengue. Der Ort liegt im Landesinneren, also legen wir die Strecke zu Fuß und nicht mit der Pirogue auf dem Ubangi-Fluß zurück. In dem großen Dorf angekommen, gibt es erst einmal den berühmten Palmwein zur Begrüßung. Danach machen wir uns mit den Verantwortlichen bekannt.
Nicht nur das Gemeindeleben interessiert mich, ich frage überall auch nach den beiden neuralgischen Punkten „Schule“ und „Gesundheit“. Es gibt in Kpossengue einen großen Unterstand mit Grasdach. Das ist die Dorfschule. Die über einhundert Kinder werden in zwei Gruppen unterrichtet.
Ersthelfer und kleine Apotheken
Bis vor wenigen Jahren gab es niemandem im Ort, der irgendeine Gesundheitsausbildung absolviert hätte. Dann hat sich Bruno, ein junger Mann aus der Gemeinde entschlossen, die Ausbildung zum „Secouriste“ zu machen, eine Art „Ersthelfer“, die in den Distriktkrankenhäusern drei bis sechs Monate lang ausgebildet werden. Danach ist man dann praktisch der Arzt im Dorf. Schon als ich hierzulande als Missionar auf Zeit von 2008 bis 2011 mit dem „Equipe Mobile“ unterwegs war, habe ich viele solcher „Secouristes“ kennengelernt. Einige von ihnen waren großartig und beherrschten Dinge, die ich mit meiner Krankenpflegeausbildung in Deutschland nicht kannte; andere dagegen praktizierten seltsame und manchmal auch hochgefährliche Methoden.
Entscheidend ist jedoch die Frage nach den Medikamenten. In den vielen abgelegenen Dörfern, in einer Provinz, die von unberechenbaren Rebellen beherrscht wird – wie kommt man dort an ein gutes Medikament? Manche Gesundheitshelfer betreiben nebenher eine kleine Apotheke. Das ist natürlich hilfreich für die Patienten, aber woher kommen das Paracetamol, die Antibiotika, die Malariamittel? Wie sind sie transportiert und gelagert worden in einem Land, in dem es täglich über dreißig Grad Celsius hat?
In Kpossengue habe ich einen sehr verantwortungsvollen Mann kennengelernt. Während die meisten „Ersthelfer“ Kranke bei sich zu Hause untersuchen und behandeln, hat Bruno neben seinem Haus eine kleine Hütte gebaut. Dieser Gesundheitsposten ist sogar vom Gesundheitsdistrikt offiziell anerkannt. Aber, was die medizinische Ausstattung angeht, fehlt es ihm an vielem. Wir planen, bald mit unserem Equipe Mobile nach Kpossengue zu kommen und mit ihm zusammen zu arbeiten.
Nachmittags feiern wir einen schönen Gottesdienst. Abends, als wir noch mit einigen Leuten aus der Gemeinde vor dem Haus des Katecheten sitzen, holt uns die politische Wirklichkeit wieder ein: Drei Séléka-Rebellen, immer mit ihren Kalaschnikow-Gewehren bewaffnet, eilen schnellen Schrittes durch das Dorf.
Spontane „Gerichtsverhandlung“ der Séléka-Milizen
Am nächsten Morgen brechen wir um halb sechs Uhr auf. Zwölf Kilometer Fußweg liegen wieder vor uns, und für zehn Uhr steht der Sonntagsgottesdienst mit Taufen in Libanga auf dem Programm. Nach zwei Kilometern sehen wir die Rebellen von gestern Abend wieder. In einem benachbarten, kleinen Dorf halten sie „Gericht“ – morgens, um zehn vor sechs! Die kleine Dorfgemeinschaft hat sich versammelt, an einem Tisch sitzen die drei selbsternannten Richter.
Unter den Leuten erkenne ich einige wieder, die zu unserer Gemeinde gehören und gestern beim Gottesdienst dabei waren. Also gehe ich zu ihnen hinüber, um sie zu grüßen. Die Leute kommen mir entgegen, wir schütteln Hände. Auch einer der drei Rebellen ist aufgestanden, ein junger Mann mit Turban, und grüßt mit Handschlag, die beiden anderen sind am Tisch sitzen geblieben. Danach gehen wir unseren Weg weiter, und die Menschen kehren an ihren Platz zurück.
Später erfahre ich dann, worum es bei der „Gerichtsverhandlung“ ging. Die Séléka suchten einen Mann, der in irgendwelche Familienstreitigkeiten verwickelt war. Davon hatten die Rebellen gehört und sich eingemischt, denn das verspricht Geld. Der Mann war geflohen und hatte bei seinem Bruder übernachtet, bei jenem, vor dessen Haus das „Gericht“ stattfand.
Als die drei Séléka gestern Abend dort eintrafen, war der Mann schon wieder verschwunden – aber nun wurde der Bruder bestraft. Weil er Unterschlupf gewährt hatte. 50.000 Francs CFA, das sind in etwa 76 Euro. Eine gigantisch hohe Summe für eine Familie, die nur von dem lebt, was sie mit der Hand auf ihrem Feld erntet. Konkret heißt das, dass die Familie sich nun verschuldet, bei Freunden und Nachbarn, dass sie die eine Zeige, die sie vielleicht hat, verkaufen muss. Aber sie wird alles tun, um die Summe aufzutreiben, denn von den Rebellen in Haft genommen zu werden, heißt, körperlich bestraft zu werden – Folter ist das.
Von Pater Olaf Derenthal
Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao.