Die letzte Kundschafter-Reise des Bistums Speyer führt nach England. In unserem Weltkirche-Blog haben sie aus Nicaragua, den Philippinen und Südafrika berichtet. So unterschiedlich wie die Länder ist auch der Eindruck der Kundschafter von den Gläubigen und ihrem Gemeindealltag.
Sterben, um zu leben. Dieses Motto hat uns heute Sally erklärt. Sie ist Pfarrerin in Newton Flotman und arbeitet für sechs Pfarreien mit sieben Kirchen – mehr Gebäude, als gebraucht werden, sagt sie. Tatsächlich darf eine englische Kirche nicht verkauft, abgegeben oder umgewidmet werden, ohne die Queen persönlich zu fragen. Zudem sind für einige Menschen in ihren Pfarreien die Gebäude immer noch wichtig, obwohl nur noch ein bis zwei Prozent den Gottesdienst besuchen. Für Sally bedeutet Kirche aber nicht ein Haus, sondern Menschen.
Die Kirchengebäude sind es also nicht, die sterben. Sally gibt uns ein anderes Beispiel. Eine Pfarrei auf ihrem Gebiet hatte nur noch drei Jugendliche, die sich für die Kirche interessierten. Alle Pfarreimitglieder hatten Angst, sie zu verlieren. Sie entschlossen sich, für die Jugendlichen eine eigene Gemeindeform zu finden, die sich außerhalb „der Kirche“ traf. Der Plan ging auf, die Gruppe wurde attraktiv für andere Jugendliche. Heute gehören 15 bis 20 junge Menschen zu ihr.
Zellen der Sehnsucht
Diese Gruppen heißen hier „Zellen“. Zellen entstehen aufgrund von Interessen, Sehnsüchten und Lebenssituationen von Menschen. Hinter der Gründung dieser Zellen steht die Überzeugung, dass Kirche für alle Menschen da sein soll. Daraus folgt, dass sie Angebote machen muss, die für alle passen. Darin enthalten ist das Wissen, dass etwas heute gut sein kann und morgen nicht mehr. Dann muss man es aufgeben – oder zumindest verändern. Und auch in den Zellen spielt Gemeinschaft eine große Rolle, die wir in dieser Woche schon so oft erlebt haben. Kirche ist Gemeinschaft. Obwohl die Zellen ohne viele Berührungspunkte nebeneinander existieren, sind sie geeint durch das Evangelium.
Noch etwas ist in den „FreshX“, die Sally ins Leben gerufen hat, wichtig: Sie haben nicht zum Ziel, Menschen über einen Umweg „in die Kirche“ oder in den Gottesdienst zu bringen. Sie sagt, sie spüre bei vielen Menschen eine Sehnsucht, „aber sie fühlen sich in unserer Art von Gottesdienst nicht wohl“. Sie untermauert das mit Beispielen: die Frau, die einen Alpha-Kurs besucht, weil sie mehr von Jesus erfahren will, aber gleichzeitige betont, dass sie nicht gläubig ist; der monatliche Treff, den der Sozialarbeiter Andy in Form eines Mittagessens für einsame Menschen anbietet. Wir dürfen an diesem Essen teilnehmen und treffen unter anderem eine Frau, die nach eigener Aussage „nie in die Kirche gehen würde.“
Begeisterung und Verzweiflung, um Neues zu wagen
Sally gibt uns Anregungen mit, wie wir Initiativen starten können. An erster Stelle steht auch für sie das Gebet. Bevor sie ihre Aufgabe vor 14 Jahren begann, betete sie 40 Tage lang am neuen Ort. Um Neues zu entwickeln, sagt sie lachend, braucht man Begeisterung und Verzweiflung. Sie ermutigt uns, auf die Menschen und ihre Bedürfnisse zu hören. Schließlich: Nie allein etwas beginnen, sondern immer im Team von mindestens zwei Menschen.
Am Abend dürfen wir bei unseren Gastgebern einen Bibelkreis der ganz besonderen Art erleben. Während der Fastenzeit treffen sich Verantwortliche und Aktive der verschiedenen Kirchen einmal wöchentlich. Ihr Thema ist das Buch Nehemia.
Heute dreht sich die Diskussion um die Frage: „Wie tickt Nehemia, welche Werte sind ihm wichtig?“ Wir stoßen etwas später dazu und sind sofort in dieser Gruppe integriert. Wir starten mit zwei Liedern, dann gibt Pete eine Einführung, lässt uns schließlich in Kleingruppen über einige von ihm vorbereitete Aspekte und Fragen diskutieren. Wir sind uns einig, dass wir in einer solchen erfrischenden Atmosphäre selten über einen Bibeltext gesprochen und nachgedacht haben. Und sind überrascht, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession überhaupt keine Rolle spielt. Die Menschen in diesem Kreis sind Freunde.
Je mehr Zeit wir hier verbringen, umso häufiger begegnen wir immer wieder denselben Schlüsselbegriffen: Gebet, Gemeinschaft, das Hören auf Gott und die Menschen sowie die Bereitschaft, sich von Dingen zu trennen, die nicht mehr wirklich gebraucht werden.
Egal, wem wir hier begegnen, wir erleben Gastfreundschaft und eine große Anteilnahme an unserer Reise. Ein gutes Beispiel ist Roy, der uns jeden Tag im Bus fährt. Er investiert viel Zeit für uns und hat nur einen Wunsch: dass es uns gut geht. Die Menschen, die uns von ihrer Arbeit erzählen, tun das mit viel Warmherzigkeit und Offenheit. Sie freuen sich über unser Interesse und unsere Fragen. Wir lachen viel miteinander und sind sehr fröhlich. Ihre Gelassenheit springt auf uns über.
Von unseren Gastgebern Kath und Pete können wir nur schwärmen. Sie umsorgen uns hervorragend, bringen uns so viel Herzlichkeit entgegen und erklären alles, was wir nicht verstehen. Das Gleiche gilt für unsere anderen Gastgeber Judith und David sowie Jane und Harry. Sie geben uns nicht nur ein Bett, sondern ihre Freundschaft.
Von Brigitte Deiters, Felix Goldinger, Joachim Lauer, Kundschafter des Bistums Speyer in England