In Nigeria konzentrieren sich alle Probleme Afrikas, aber auch alle positiven Elemente für eine gute Entwicklung des Kontinents. Sechs Tage lang bereiste ich als Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz mit drei Mitarbeitern das westafrikanische Land.
Die Kirche in Nigeria ist sehr lebendig, sie wird getragen von den Priestern, Ordenschristen und vielen engagierten Laien, besonders Frauen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung sind Christen. Sie leben mit den Muslimen überwiegend friedlich zusammen. Von den Christen sind drei Viertel protestantisch und ein Viertel katholisch. Den traditionellen afrikanischen Religionen gehört eine Minderheit an. Die Angriffe der terroristischen Islamistengruppe Boko Haram überschatten seit Jahren das Land. Sie verfolgt, vertreibt, tötet alle, die sich ihrem politischen Machtstreben, das religiös verbrämt ist, nicht unterwerfen – Christen wie Muslime gleicherweise.
Es gibt in Nigeria sehr viele junge, einsatzwillige Menschen, die das Land aufbauen können. In Nigeria ist auch die Problematik der Überbevölkerung deutlich spürbar. Die Geburtenrate liegt bei fünf Prozent. Mit 180 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas – und zwar mit Abstand. Die 20-Millionen-Stadt Lagos, wo wir unsere Reise begannen, ist eine der größten Megacities der Welt. Dort sprachen wir mit dem Erzbischof von Lagos, Alfred Adewale Martins.
Dann reisten wir weiter über Kaduna nach Jos. Im Umfeld dieser Städte befindet sich das Zentrum der Boko-Haram-Gruppe. Der Erzbischof von Jos, Ignatius Kaigama, war schon öfter in Deutschland und hat die Situation in Nigeria erläutert. Derzeit ist er auch Präsident der nigerianischen Bischofskonferenz. Mit ihm haben wir im Nordosten Nigerias viele Besuche gemacht, Informationen erhalten und Erfahrungen sammeln können.
Wir haben lebendige Pfarreien besucht und Gottesdienste in den Gemeinden gefeiert, wir haben Treffen mit den muslimischen Führern, etwa mit drei Emiren gehabt, und mit den Mitgliedern der dortigen Regionalregierung Gespräche geführt sowie uns auch mit Verantwortlichen der nationalen ökumenischen Bewegung (CAN) getroffen.
Der Besuch von Christen, die von Boko Haram vertrieben wurden und jetzt in Lagern unter schlimmen Verhältnissen leben, war eine selbstverständliche Pflicht.
Auffällig im ganzen Land sind die strengen Sicherheitsmaßnahmen: Jede Kirche ist mit Mauern und Stacheldraht abgesichert. Meistens bewachen Soldaten die Eingänge und kontrollieren die Besucher. Auch auf den Straßen gibt es überall Checkpoints. Vor allem beim Einfahren in Städte und Dörfer sind Kontrollen an der Tagesordnung. Die Sicherheitslage ist prekär.
In Nigeria gibt es 514 verschiedene Sprachen und über 400 Ethnien, die sich zum Teil gegenseitig bekämpfen – meistens wegen Landfragen. Armut und Hunger sind im Land bereits heute verbreitet und werden in der Zukunft zunehmen. Wegen der sozialen Lage gibt es innerhalb Nigerias eine ständige Völkerwanderung.
Das Land wird bei allen Bemühungen um eine Demokratisierung dominiert von einem autoritären, muslimisch geprägten Lebensstil, der Frauen und ebenso jungen Männern, die nicht zu den Eliten gehören, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Das hat auch für die ökonomische Entwicklung negative Auswirkungen.
Zum Abschluss fanden in Abuja Gespräche mit Kardinal Onaiyekan, dem Deutschen Botschafter Dr. Schlagheck und Verantwortlichen der Zivilgesellschaft statt. Mit ihnen konnten wir unsere Begegnungen und Erfahrungen reflektieren und vervollständigen.
Nigeria ist ein Land, das zu den entscheidenden für die Zukunft Afrikas gehört. Die Kirche tut in Nigeria sehr viel für den interreligiösen Dialog, für die Ökumene, für die Bildung und Entwicklung des Gesundheits- und Sozialwesens.
Fest steht: Ohne das Wirken der Kirche wird Nigeria keine Zukunft haben.
Von Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz