Da sind die Momente der Hoffnung, der Freude, der Aufbruchsstimmung: zum Beispiel die feierlichen Gottesdienste zu den Hochfesten. Oder aber auch unsere Schule „Maanicus“, die mittlerweile über 650 Schüler hat. Jeden Morgen Kindertoben vor der Tür zu haben und die Glocke zu hören, die zum Unterrichtsbeginn und zum Stundenende rappelt, das vermittelt irgendwie ein Gefühl von Normalität.
Ja, hier in Mobaye entspannt mich der Krach von 650 Kindern. Ehrlich. Denn das heißt, dass die militärisch-politische Lage zumindest oberflächlich entspannt ist.
Die Erfahrung vom vergangenen Wochenende zeigt aber leider auch, dass sich die Situation schlagartig ändern kann. Am Samstagmorgen machte ich mich zusammen mit unserem neuen Praktikanten Régis und einem unserer Pfadfinder in die 18 Kilometer entfernte Außenstation Zima 2 auf. Ich wollte nachmittags die Gemeinde treffen und die Tauffeier vorbereiten. Der kleine Fußmarsch tat gut, viele Menschen sind uns am Wegrand begegnet. Am nächsten Tag wollten wir dann „tüchtig“ Gottesdienst feiern. Danach wollte mich eines unserer Chormitglieder mit einem Motorrad weiter ins 40 Kilometer entfernte Zangba fahren. Doch dazu sollte es nicht kommen …
Während die ganze Gemeinde schon zur Messe versammelt war und ich noch die letzten Beichten hörte, kam Régis auf mich zu und meinte, wir müssten jetzt entscheiden, was zu tun sei. Aus dem Nachbarort Agamounou, durch den wir noch am Vortag gegangen waren, waren zahlreiche Schüsse zu hören. Die ersten Leute verließen die Kirche, unsicher, wohin sie gehen (oder laufen) sollten. Zahlreiche bewaffnete Anti-Balaka-Rebellen eilten an unserer Kapelle vorbei in Richtung des Dorfes, aus dem die Schüsse kamen. Irgendwie ein Konflikt zwischen zwei Balaka-Gruppen, hieß es.
Was tun? Messe absagen? Sich verstecken? Weglaufen? Nach kurzer Beratschlagung mit meinen Katecheten haben wir beschlossen, dass wir trotzdem Gottesdienst feiern. Oder gerade deswegen. Zumal allmählich das Schießen aufhörte und ein General der Milizen sich ebenfalls auf den Weg nach Agamounou gemacht hatte. Na, dann soll er das mal regeln …
Nach zwei Stunden, ich war in etwa bei der Gabenbereitung angelangt, sah man dann Balaka-Rebellen zurückkehren – mit ihrer Beute: Töpfe, Eimer, Ziegen, ein Schwein, Säcke von Maniok, Erdnüssen, Kaffee. Alles geraubt von den Familien oder einfach Nachbarn der unterlegenen Gruppe.
Als wir aus der Kirche kamen, war die angespannte Lage weiter deutlich zu spüren. Die „siegreiche“ Balaka-Gruppe mit ihrem General hatte damit gedroht, da die meisten gegnerischen Waffenbrüder geflohen waren, am späten Nachmittag wiederzukommen und das Dorf nochmals anzugreifen.
Patrick, der mich mit dem Motorrad weiter nach Zangba fahren sollte, kam tatsächlich an unserer Kapelle an. Er berichtete, dass er ohne Probleme den Weg aus Mobaye in unser Dorf zurückgelegt habe. Jedoch seien in Agamounou, aus dem wir die Schüsse gehört hatten, jetzt einige Häuser niedergebrannt.
In dieser unklaren Situation riet mir jeder, nicht weiter nach Zangba zu fahren. Vor uns lagen einige Anti-Balaka-Straßensperren, die mich sicher nicht einfach so durchgelassen hätten. Womöglich hätten sie gleich das Motorrad konfisziert.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als wieder nach Mobaye zurückzukehren. Auf dem Rückweg haben wir kurz in Agamounou angehalten und die sechs abgebrannten Häuser gesehen. Die Anti-Balakas hatten die Türen eingetreten, alles, was sich zu Geld machen lässt, Hausrat und Tiere, geraubt und dann Feuer gelegt. Gott sei Dank ist aber niemand verletzt oder gar umgebracht worden.
Eines der Opfer ist der Dorfchef selbst. 2017 waren es die Séléka-Rebellen, die das Dorf angegriffen, geplündert und verwüstet haben. Unter vielen Entbehrungen hatte die Dorfbevölkerung es im vergangenen Jahr wieder aufgebaut. Anfang 2019 sind es die Anti-Balaka-Milizen, die dasselbe Verbrechen begehen. Die Zivilbevölkerung bleibt den Launen und der Gier der Rebellen hilflos ausgeliefert. Eine staatliche Gewalt existiert bei uns in der Basse-Kotto nicht.
Heute hören wir jedoch, dass die zerstörten Häuser alles Unterkünfte der rebellischen Anti-Balaka-Dorfgruppe waren. Wer ist in diesem Land Opfer, wer Täter? Manchmal lässt sich das gar nicht mehr trennen, so komplex und verfahren ist die Lage, bis in die kleinsten Dörfer hinein. Ereignisse dieser Art geschehen täglich in der Zentralafrikanischen Republik. Ungehört vom Rest der Welt.
Von Pater Olaf Derenthal
Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Mit zwei Mitbrüdern begleitet er die junge Kirche in der Pfarrei Mobaye und arbeitet als Koordinator für Gesundheitsprojekte der Diözese Alindao. Wegen zunehmender Konflikte zwischen den Rebellen musste er für mehrere Monate mit seinen Mitbrüdern in den benachbarten Kongo fliehen. Mittlerweile konnten sie aber wieder nach Mobaye zurückkehren. Hier finden Sie Auszüge aus seinem Blog.