Als afrikanischer Flüchtling in Tel Aviv

Adam Ahmed im Stadtteil Neve Sha’anan in Tel Aviv. © Gregor Buß

Adam ist der erste afrikanische Flüchtling, der über sein Leben in Israel geschrieben hat. Mit seinen Erzählungen hat er dazu beigetragen, ein anderes Bild der in Tel Aviv gestrandeten Sudanesen und Eritreer zu zeichnen. Dr. Gregor Buß hat ihn in Tel Aviv getroffen.

Adam Ahmed will uns zum Abschluss noch ins sudanesische Restaurant mitnehmen. Eine Speisekarte gibt es nicht. Wir verlassen uns auf die Empfehlungen des Kellners. Es gibt Reis mit Foul (Saubohnen), Hähnchen mit Erdnusssoße, und Kisra – Fladen aus Hirsemehl, die zu jedem guten sudanesischen Essen gehören. Es schmeckt köstlich. Auch den anderen Gästen im Restaurant scheint es zu schmecken, der Laden ist voll. Mit einer Gruppe von Studierenden der Hebräischen Universität in Jerusalem sind wir heute nach Tel Aviv gefahren, um uns mit Adam zu treffen. Er ist einer von gut 30.000 afrikanischen Flüchtlingen, die sich derzeit in Israel aufhalten – man könnte auch sagen: die in Israel gestrandet sind.

Die Odysse begann 2003 während des Darfur-Konflikts

Adams Odyssee begann 2003, als in Darfur der Konflikt ausbrach. Er lebte zu dieser Zeit in Al-Fashir, der Hauptstadt von Nord-Darfur, und verdiente seinen Lebensunterhalt als Händler. Weil die Milizen der Janjaweed (bewaffnete Beduinenstämme, die bis heute gegen die Zentralregierung in Khartum kämpfen) es insbesondere auf junge Männer wie ihn absahen, flüchtete Adam 2004 in die Hauptstadt Khartum. Auch dort war er nicht in Sicherheit und zog nach zwei Monaten weiter nach Ägypten.

In Kairo engagierte er sich in der sudanesischen Community. Zahlreiche junge Sudanesen waren wie er nach Ägypten geflohen. Als Aktivist versuchte er diesen Asylsuchenden eine Stimme zu geben. Ein beliebter Treffpunkt war der Mustafa Mahmoud Park gegenüber dem Sitz des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Als ägyptische Sicherheitskräfte das Protestcamp im Dezember 2005 auflösen wollten, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Laut offiziellen Angaben starben hierbei 25 sudanesische Asylsuchende, inoffizielle Statistiken gehen von mehr als 100 Opfern aus.

Israel, der Erzfeind

Infolge dieser Unruhen fühlten sich viele Sudanesen in Kairo nicht mehr sicher, die Repressionen nahmen zu. Viele von ihnen hielten es noch bis 2008 aus, aber dann entschlossen sie sich, weiter nach Israel zu ziehen – auch Adam. Ausgerechnet Israel! Dieses Land wird von vielen Sudanesen als Erzfeind angesehen – so hat es die staatliche Führung über Jahrzehnte ihrer Bevölkerung eingebläut. Sich auf den gefährlichen Weg über die Sinai-Halbinsel in ein völlig unbekanntes Land zu wagen, zeigt also, wie verzweifelt die Gruppe um Adam war.

Als Adam 2008 die unbefestigte Grenze nach Israel überquerte, besaß er nichts. Keine Papiere, kein Geld, keine Pläne. Er schlug sich bis Tel Aviv durch, wo er auf andere afrikanische Flüchtlinge stieß, die ihm unter die Arme griffen. Auch die israelische Bevölkerung war in dieser Zeit hilfsbereit. Die afrikanischen Flüchtlinge in Tel Aviv, die sich vor allem in dem Stadtteil Neve Sha’anan in der Nähe des Busbahnhofs niedergelassen hatten, wurden von Freiwilligen unterstützt. Als jedoch immer mehr Flüchtlinge ankamen (bis 2012 wurden es insgesamt etwa 60.000), kippte die Stimmung. Die Flüchtlinge galten als Kriminelle, Schmarotzer und Vergewaltiger. Auf den Straßen wurden sie angefeindet und zum Teil massiv bedroht.

In Tel Aviv nicht mehr erwünscht

Auch die israelische Politik reagierte harsch. 2009 wurde eine Maßgabe eingeführt, die es afrikanischen Flüchtlingen untersagte, in Tel Aviv zu wohnen. 2010 wurde mit dem Bau einer Sperranlage an der ägyptischen Grenze begonnen. Seitdem diese Anlage 2012 fertiggestellt wurde, ist kaum noch ein Flüchtling ins Land gekommen.

Adam war 2009 also gezwungen, Tel Aviv zu verlassen, und zog nach Eilat im Süden des Landes. Dort baute er ein Zentrum für Flüchtlingskinder auf, weil diese nicht an öffentliche Schulen gehen durften. Die Diskriminierungen nahmen in Eilat weiter zu. Im Januar 2011 rief der dortige Bürgermeister dazu auf, keine Wohnungen mehr an Geflüchtete zu vermieten. In der Stadt hissten die Bürger rote Flaggen, die den Asylsuchenden deutlich machten, dass sie nicht länger erwünscht waren. Aber wohin fliehen?

Adam war in einer Falle gefangen. In den Sudan konnte er nicht zurück, in ein anderes Land weiterzuziehen war auch keine Option, und in Israel war er unerwünscht. Er musste darauf hoffen, dass sich die Zeiten besserten. 2012 gab es eine leichte Verbesserung, weil die Anordnung, dass Flüchtlinge nicht im Gebiet von Tel Aviv residierten durften, vom obersten israelischen Gerichtshof als verfassungswidrig eingestuft wurde. Adam konnte also zurück nach Tel Aviv und baute dort ein neues Zentrum für die sudanesische Community auf. Wie in Eilat, setzte er sich besonders für die Bildung der Kinder ein.

Mit Stift und Papier einen Ausweg finden

Er fand noch einen weiteren Weg, sich aus der ausweglosen Situation zu befreien: Mit einem Stift und einem Block Papier. Er begann, seine Fluchterfahrungen aufzuschreiben, erinnerte sich an die idyllische Kindheit in Darfur und verarbeitete so die Odyssee der letzten Jahre. Das Schreiben fiel ihm schwer, seine Eltern sind Analphabeten, er selbst hat erst während seiner Zeit in Kairo Englisch gelernt. Aber dennoch: 2015 erschien sein erstes Buch „The Nightmare of the Exile“; 2016 folgte ein weiteres mit Kurzgeschichten unter dem Titel „The Voyage of Destiny“. Adam ist der erste afrikanische Flüchtling, der über sein Leben in Israel geschrieben hat. Mit seinen Erzählungen hat er dazu beigetragen, ein anderes Bild der in Tel Aviv gestrandeten Sudanesen und Eritreer zu zeichnen. In Zeitungen wird über ihn berichtet.

Und trotzdem hat sich an der grundsätzlichen Situation der mehr als 30.000 afrikanischen Asylsuchenden in Israel noch nicht viel geändert. Viele hoffen darauf, von Drittstaaten – allen voran Kanada – aufgenommen zu werden. Tausende sind bereits in afrikanische Aufnahmestaaten wie Uganda oder Ruanda zurückgegangen. Der Rest harrt in Israel aus und hofft darauf, eine Zukunftsperspektive zu bekommen.

Von Dr. Gregor Buß

Weitere Information zu Adam Ahmed hier, zu den sudanesischen Flüchtlingen in Israel hier.

Gregor Buß lebt seit 2015 in Jerusalem und arbeitet an der Hebräischen Universität. Weitere Beiträge von ihm im Weltkirche-Blog finden Sie hier.

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