Die derzeitigen Schulschließungen in Bolivien dienen der Eindämmung der Corona-Pandemie. Doch sie verstärken bestehende Ungleichheiten weltweit. Deshalb arbeitet die von mir unterstützte Partnerorganisation FOCAPACI momentan mit der organisierten Schülerschaft in El Alto zusammen. Deren Forderung besteht primär darin, dass Schülerinnen und Schülern der Zugang zum Internet für die Teilnahme am Unterricht kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Ein Anliegen, das leider seitens der Regierung noch nicht aufgenommen wurde. Wir versuchen die SchülvertreterInnen in ihrem Engagement zu unterstützten, indem wir sie dabei begleiten, sich in schwierigen Situationen besser zu verstehen und mit Unterschieden konstruktiv umzugehen. So wollen wir gewaltsamen Auseinandersetzungen vorbeugen.
Nicht alle Kollegen und deren Einkommen sind durch Projektmittel abgesichert. Einige Arbeitsfelder, denen sich meine Partnerorganisation widmen, werden aus Spenden finanziert. Zu den Spendern zählen in der Mehrzahl junge Menschen aus Spanien und Deutschland, die ihrer Verbundenheit mit meiner Partnerorganisation nach einem Freiwilligendienst weiter Ausdruck verleihen wollen. Diese Menschen haben möglicherweise als Folge von Corona ihren Nebenjob in der Gastronomie verloren. Vielleicht plagt sie auch die Sorge, ob sie nach dem Studium oder der Ausbildung nahtlos den Eintritt ins Berufsleben schaffen oder ihr befristeter Arbeitsvertrag verlängert wird. Dass in solch einer Situation, wo auch in Europa bestimmte Personengruppen Zukunftsängste hegen, die Spendenbereitschaft sinkt, ist verständlich. Für meine Partnerorganisation in El Alto bedeutet dies die Kündigung von Mitarbeitenden. Dadurch ist beispielsweise die Hausaufgabenbetreuung weggebrochen. Schade, dass Angebote, welche gerade in Zeiten von Homeschooling eine wichtige Stütze hätten darstellen können, eingestellt werden müssen. Auch der Mittagstisch wäre für viele Familien, deren Existenzgrundlage weggebrochen ist, sicherlich im Augenblick besonders wichtig.
Ein weiteres sichtbares Zeichen der Pandemie sind wachsende Müllberge hier in El Alto. Im informellen Abfallwirtschaftssektor wächst der Unmut über die Ausgangssperre, die Menschen daran hindert, Müll zu sammeln und zu sortieren. Darum haben sich diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, organisiert und die Zufahrt zur Müllkippe für die Müllautos gesperrt. Damit möchten sie die Stadtverwaltung und die nationale Regierung auf ihre Situation aufmerksam machen. Mediale Präsenz haben sie durch ihre Aktion sehr schnell erlangt, da der Gestank, welcher durch die Blockade ausgelöst wurde, natürlich auch sämtliche Nachbarn zu Betroffenen gemacht hat. Die Partnerorganisation FOCAPACI wurde eingeladen, in dem Konflikt zu vermitteln und den zerstrittenen Parteien zu helfen, eine Lösung zu finden. In Zeiten von Corona ist es gar nicht so einfach, solche Prozesse zu moderieren ohne die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter zu gefährden.
Eine ausreichende Beteiligung aller Interessensgruppen zählt zu den wichtigsten Faktoren, um Akzeptanz herzustellen. Doch wie soll man solche Verfahren gestalten, wenn die Einbindung vieler Menschen zugleich das Infektionsrisiko erhöht? Solche Grenzen im Rahmen der Konflikttransformation, ausgelöst durch Corona, zwingen uns zu neuen Arbeitsformen und ermöglichen mir und meinen Kollegen wichtige Lernerfahrungen, die sicherlich auch die Zukunft des Zivilen Friedensdienstes bestimmen werden. Unterstützung passiert derweil, indem im Rahmen einer trägerübergreifenden Fortbildung zur Nutzung digitaler Tools und kollaborativen Arbeitens in virtuellen Teams gelungene Beispiele verschiedener Partnerorganisationen geteilt werden. Diese Fortbildung, an der Fachkräfte und Partner von Weltfriedensdienst, GIZ und EIRENE teilnehmen ermutigt zu Flexibilität und Kreativität – trotz der gravierenden Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Von Esther Henning
Esther Henning unterstützt und berät als Friedensfachkraft des Internationalen Christlichen Friedensdienstes Eirene die Partnerorganisation FOCAPACI in El Alto, Bolivien. FOCAPACI gestaltet partizipative Dialogprozesse mit gesellschaftlichen Gruppen, um die Gewalt zwischen ihnen zu überwinden und gerechte Verhältnisse zu schaffen.