Am Sonntag – unserem letzten Tag in der Region Sterkspruit – durften wir Erfahrungen machen, die uns Anlass bieten, über unsere Armut nachzudenken. In den Gemeinden Musong und Hohobeng konnten wir im wahrsten Sinne des Wortes bewegende Gottesdienste feiern.
Während zuhause in Deutschland der eine oder andere sonntags gerne länger schläft, hieß es für uns früh Aufstehen. Wir wurden aufgefordert, gut zu frühstücken, denn der Tag würde lang werden. Zum ersten Sonntagsgottesdienst, der um 9.00 Uhr beginnen sollte, müssen wir über eine Stunde fahren. Inzwischen sind wir es gewohnt, dass es über Stock und Stein geht. Aber auch dort, wo die Straßen gut ausgebaut sind, muss man mit allem rechnen. Heute waren wir auf einer Strecke unterwegs, auf der zu Recht viele Schilder vor Steinschlag warnten.
Reichlich Proviant für die Reise nach Deutschland
Vor der Kirche der Gemeinde Musong warten schon die ersten Gemeindemitglieder. Aber anfangen können wir doch erst um 9.30 Uhr, weil immer wieder Familien mit vielen Kindern kommen: 60 Erwachsene, über 40 Kinder! Offensichtlich ist unser Besuch bekannt – wir dürfen viele Hände schütteln. Vielen können wir eine Freude bereiten, indem wir sie fotografieren. Regelmäßig ernten wir ungläubiges Staunen und ein ansteckendes Lachen, wenn wir im Display der Kameras die Bilder zeigen.
Auf ihre Art haben uns dann aber auch die Menschen von Musong zum Staunen gebracht, die ganz offensichtlich wissen, dass Deutschland „mehrere Tagesreisen im Bus“ entfernt sein muss. Damit wir diese lange Heimreise gut überstehen, haben sie uns von dem wenigen, das sie haben, vieles abgezweigt: Drei Hühner – schon gerupft und bratfertig ausgenommen, einen großen Beutel Reis, für jeden zwei Maiskolben, drei riesige Gemüsekürbisse, mehrere Flaschen Cola … Und weil man vielleicht einmal einen warmen Kaffee oder Tee trinken will mit (viel!) Zucker drin, wurde auch gesammelt: 340 Rand (etwa 24 EUR) kamen zusammen.
Damit wir diese kostbaren Vorräte nicht gleich aufbrauchen mussten, gab es auch noch für jeden eine gut gefüllte Schüssel Porridge, ein dünnflüssiger Getreidebrei, die wir gleich ausschlürfen durften. Wir müssen wohl sehr arm aussehen, und der Weg zurück scheint wirklich weit zu sein. So wie wir Musong verließen, wurden wir in Hohobeng, unserer zweiten Station, begrüßt: mit einer Schüssel Porridge. Und nach dem Gottesdienst wurden wir an einem reich gedeckten Tisch bestens weiterversorgt – das Hühnchen für unterwegs war sogar schon gebraten.
Aber irgendwie sind wir doch arm dran
Wenn wir aber auf die Feiern in den Gemeinden schauen, dann müssen wir beschämt eingestehen, dass wir auf eine ganz andere Art doch „arm“ sind. Mit Inbrunst läutet ein würdiger Herr mittleren Alters. Mit Hand und Fuß erklärt er mir, dass das „sein“ Dienst sei: Er rufe zum Gottesdienst, ja zu Gott selbst. Da steht er gerne als erster vor der Kirche, damit ja keiner vergesse zu kommen. Natürlich hat er keine Läuteanlage eingeschaltet, sondern am Seil gezogen. Die Sakristei-Dienste werden von vielen Helfern übernommen, die ganz selbstverständlich Hand in Hand arbeiten.
Dann: Wie zu erwarten steht in keiner der Kirchen eine Orgel; mehr als eine selbstgebastelte Trommel und improvisierte Rasseln gibt es nirgends – aber mit welcher Freude singen alle mit, meist mehrstimmig und mit Klatschen, Stampfen, Trillern.
Welches Glück empfinden wohl die Frauen, die in einer langen Prozession durch die Kirche feierlich das Evangeliar nach vorne bringen? In einem langen und vor allem freudigen Tanz und unter Begleitung der halben Gottesdienstgemeinde wird es zum Ambo getragen, und zwar so, dass es jeder sehen kann. Ein entfernter Betrachter, der nicht so genau hinschaut, könnte vermuten, dass da eine junge Frau der Welt stolz und glücklich ihr gesundes erstes Kind zeigt.
Wenig später folgt eine zweite Prozession zur Gabenbereitung, die nicht weniger feierlich ist. Wenigstens mir schien es so, dass Jugendliche spontan „Messdienerdienste“ übernahmen, sie wissen ja, was zu tun ist. Ich frage mich, für wie arm uns die Menschen dieser Gemeinden halten würden, wenn sie bei uns einen Sonntagsgottesdienst erleben würden: kaum Kinder, keine freien Gebete, nur still in der Bank sitzen oder stehen und nicht einmal in die Hände klatschen.
So bleibt die Frage, wer wirklich arm ist: Die Menschen hier, die das wenige, das sie haben, bereitwillig mit uns teilen und eben nicht vom Überfluss abgeben, oder nicht doch wir aus dem reichen Deutschland, die beschämt die vom Mund abgesparten Gaben entgegen nehmen. Wenigstens mit einem kleinen Gesang können wir unsere Dankbarkeit zeigen (… und später die Gaben den Pfarrern der Gemeinde in Sterkspruit übergeben, die sich angesichts der bescheidenen Gehälter von umgerechnet 150 EUR bestimmt freuen). Um viele Erfahrungen bereichert verlassen wir Sterkspruit: Ja, wir sind bereichert, und unsere Armut wird kleiner.
Von Alois Moos, Kundschafter des Bistums Speyer in Südafrika