Wenn Papst Franziskus Samstag bis Dienstag das Baltikum bereist, kommt er in drei sehr verschiedene Staaten. Besucht er mit Litauen zu Beginn ein durchweg katholisches Land mit einer traditionsreichen Kirche, trifft er zunächst in Lettland und am letzten Tag in Estland auf katholische Christen in der Diaspora.
In Estland begegnet er einer weltweit fast einmaligen Situation. Für über 70 Prozent der Bevölkerung ist Religion zweitrangig oder ganz egal. Sie gehören weder einer christlichen Konfession noch einer anderen Religion an. Gleichzeitig ist die katholische Kirche so klein, wie in anderen Ländern sonst nur religiöse Splittergruppen – 6.500 katholische Christen, 0,5 Prozent der Bevölkerung. Natürlich kann man sich fragen: Was will dort ein Papst? Da hat doch fast jede deutsche Pfarrei mehr Mitglieder als die gesamte Kirche in Estland?
Papst Franziskus geht an die Ränder, also auch dorthin, wo Katholiken, ja wo Christen eine Randgruppe bilden. In diesem Fall, wo sie in einer stark säkularisierten Gesellschaft leben – in Estland zeigt sich eine dynamische Kirche, ganz im Sinne: Wo Kirche ist, da ist Leben! Wir sollten die Chance nutzen, die das päpstliche Scheinwerferlicht uns bietet und in diese eigenartige religiöse Situation hineinhören: Was will uns Gott mit dieser säkularisierten Gesellschaft sagen? Wie und wo begegnen wir Gott in solch einer areligiösen Welt? Was heißt das für unser Glaubensleben hier, für die Wirklichkeit in unserer eigenen Pfarrei? Immerhin gibt es solch eine Situation nur noch zweimal auf dieser Erde: in Tschechien und in Ostdeutschland!
Mehr Hoffnungs- als Bedenkenträger
Noch am Nachmittag vor seiner Estlandvisite wird sich Papst Franziskus ein ganz anderes Bild bieten. In Aglona, dem internationalen Marienwallfahrtsort in Lettland, wird er vor tausenden Gläubigen die Messe zelebrieren. Sie gilt als ein Höhepunkt seiner Baltikumreise. Eine fast volkskirchliche Frömmigkeit erwartet ihn dort.
Und auch das ist eine besondere Situation. Denn in Lettland leben katholische Christen ebenfalls als Minderheit, in westlichen Landesteilen sogar in extremer Diaspora. Da ist es beeindruckend, wie sich die Kirche den großen Herausforderungen in dieser Gesellschaft stellt, mit wieviel ehrenamtlichem Engagement, mit wieviel mehr Hoffnungs- als Bedenkenträgern. Sie nimmt sich den sozialen Problemen an, der Armut, der Instabilität der Familien, der Drogensucht, und zeigt, dass auch mit wenig Mitteln und kleinen Schritten eine Menge in der Gesellschaft bewegt werden kann. Die katholische Kirche in Lettland lässt sich nicht entmutigen, sondern mischt sich ein und gibt dem Glauben ein erkennbares Gesicht.
Allerdings, ohne die Solidarität der katholischen Christen aus Deutschland könnte weder die Kirche in Estland noch in Lettland auskommen. Insbesondere in den nun fast drei Jahrzehnten nach dem Ende der Sowjetherrschaft galt es die Kirche in den beiden Staaten wieder aufzubauen. Als kleine Minderheiten fehlten und fehlen auch heute noch dazu oft die finanziellen Möglichkeiten. Wenn also Papst Franziskus die Diasporakirchen in Estland und Lettland besucht, ergreifen wir die Chance, uns mit der Kirche in diesen baltischen Staaten vertraut zu machen. Und hören wir nicht auf, uns im Geiste und ganz pragmatisch solidarisch zu zeigen mit unseren Mitchristen am äußersten Rand der Christenheit.
Von Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes.