Frieden in Kolumbien – jetzt erst recht!

Mit einem Bombenanschlag auf Polizeischüler in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá hat die ELN-Guerrilla für die nähere Zukunft jeglichen Verhandlungsinitiativen mit der Regierung einen Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig bewaffnen sich zahlreiche ehemalige Mitglieder der FARC-Guerrilla wieder.

Die Grenzen zu Venezuela sind weiter geschlossen, die Gefahr eines Krieges mit dem Nachbarland ist noch nicht gebannt. Währenddessen steht die derzeitige kolumbianische Regierung Verhandlungslösungen für bewaffnete Konflikte sehr skeptisch gegenüber, vielmehr forciert sie Änderungen an bisherigen Übereinkünften. Ein Grund, zu verzweifeln? Ja, aber nur wenn mit Blick auf politische Lösungen der zahlreichen Konflikte aus dieser Verzweiflung ein „jetzt erst recht“ erwächst.


Menschen unterschiedlichster Hintergründe ins Gespräch bringen: Aufgabe der nationalen Versöhnungskommission CCN. © Comisión de Conciliación Nacional 2018.

Der Versuch der ELN, den Anschlag auf die Ausbildungsstätte als militärisch legitime Abwehraktion zu verkaufen, ging dabei mehr als schief: Menschen des gesamten politischen Spektrums verurteilten die Tat; auch die Kirche und viele Organisationen der Zivilgesellschaft, die die ELN in ihren Comuniqués zu vertreten behauptet, erklärten ihr Mitgefühl mit den Angehörigen der Anschlagsopfer. Die Zeit, in der Bilder von Zerstörung und Toten als „revolutionärer Akt“ verkauft werden konnten, ist auch in Kolumbien längst vorbei. Weder Kleinbauern, noch indigene Gemeinschaften oder linke Organisationen: Keiner möchte im Jahr 2019 noch von einer Guerrilla gewaltsam „verteidigt“ werden. Die Führungsriege der ehemaligen FARC-Guerrilla hatte das verstanden, nach langjährigen Verhandlungen legten ihre Mitglieder 2017 die Waffen nieder. Die neu entstandene „FARC“-Partei hat den Anschlag verurteilt.

Dass ein Teil der früheren Anhänger dieser Gruppe inzwischen wieder bewaffnet ist, hat weniger ideologische denn ökonomische und juristische Gründe: Die angekündigten staatlichen Hilfen zur Wiedereingliederung werden nur langsam umgesetzt, die Übergangsjustiz läuft schleppend an und niemand hat mit offenen Armen auf die Ex-Guerrilleros gewartet, außer vielleicht deren Familien. Die Anhänger der kleinen neuen Gruppen üben nicht nur Druck auf ehemalige Mitkämpfer aus, durch die Kontrolle von Drogenrouten bieten sie auch finanziell Perspektiven. Für Mitte 2019 ist ein starkes Wachstum dieser Gruppen zu erwarten: Dann läuft die finanzielle Wiedereingliederungsbeihilfe aus, die derzeit noch Monat für Monat ausgezahlt wird. Derweil werden weiter Führungspersönlichkeiten sozialer Bewegungen getötet, insbesondere Vertriebene, die sich für die Rückgabe ihrer Ländereien einsetzen. Die Regierung hat darauf bislang keine wirksame Antwort gefunden.

Menschen unterschiedlichster Hintergründe ins Gespräch bringen: Aufgabe der nationalen Versöhnungskommission CCN. © Comisión de Conciliación Nacional 2018.

Ist Friedensarbeit und der Einsatz für eine Verhandlungslösung in einem Land, in dem die Regierung direkten Gesprächen kritisch gegenübersteht und die Anzahl bewaffneter Gruppen tendenziell eher größer wird, in einer Zeit, in der das soziale Engagement insbesondere in ländlichen Regionen lebensgefährlich ist, überhaupt sinnvoll und möglich? Für die durch den Zivilen Friedensdienst der AGEH e.V. und Adveniat unterstützte Versöhnungskommission der kolumbianischen Bischofskonferenz ist die Antwort ein ganz klares ja. Zu diesem Zeitpunkt Dialogbrücken zu zerstören würde bedeuten, den Glauben daran aufzugeben, dass sich die Situation zum Besseren wenden kann. Daran glauben aber die meisten Kolumbianerinnen und Kolumbianer, auch die Bischöfe. Darum haben letztere auch zum Abschluss ihrer jüngsten Vollversammlung alle Gruppen zum Dialog aufgerufen, namentlich die ELN-Guerrilla, die Regierung, andere bewaffnete Gruppierungen, sowie die organisierte Zivilgesellschaft.

Mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, mit dem Bau von Brücken zwischen unterschiedlichsten Gruppen und Milieus darf nicht gewartet werden, bis auch die letzten begriffen haben, dass die Gewalt in Kolumbien keine Probleme löst, sondern verdeckt und verschlimmert. Korruption, soziale Ungleichheit, Rassismus, die prekäre Struktur und Präsenz eines häufig bürgerfernen Staates, eine Geschichte der gewaltsamen Austragung jeder Art von Konflikten, aber auch die Gewalt innerhalb von Familien sind solche Probleme, an deren Bearbeitung schon jetzt gearbeitet werden muss und kann, um deren gewaltsames Ausbrechen zu verhindern.

Von Damian Raiser

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Der Journalist und Politikwissenschaftler Damian Raiser lebt in Kolumbien. Als Fachkraft der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) im Zivilen Friedensdienst berät und unterstützt er die nationale Versöhnungskommission (CCN) der kolumbianischen Bischofskonferenz in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit.

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