Wenn ehemalige FARC-Rebellen zum Essen einladen

Etwa 300 FARC-KämpferInnen fanden sich Anfang 2017 im Übergangslager bei Tumaco ein – ohne jegliche Infrastruktur. © Ulrike Purrer

Seit einigen Jahren führt die Kleinstadt Tumaco die kolumbianische Gewaltstatistik an. Daran hat auch die Unterzeichnung der Friedensverträge zwischen FARC-Guerilla und Regierung im November 2016 nichts geändert. Die Theologin Ulrike Purrer berichtet für uns von vor Ort.

Die große Mehrheit der FARC-KämpferInnen hat sich zwar in den eigens errichteten Übergangslagern eingefunden, doch das entstandene Machtvakuum hier an der Pazifikküste wurde unmittelbar von neuen bewaffneten Gruppen gefüllt. Trotz massiver Militärpräsenz in der Region ist es dem Staat bisher nicht gelungen, die Kontrolle zu übernehmen. Stattdessen prägt weiterhin ein kaum überschaubarer Machtkampf zwischen paramilitärischen Gruppen, Drogenkartellen, Dissidentengruppen der FARC und Armee den Alltag im Landkreis Tumaco.

Keine einfache Resozialisierung in die Gesellschaft

Eines der 26 Übergangslager der FARC liegt nur 50 Kilometer von der Stadtgrenze Tumacos entfernt. Vor zwei Jahren hatten sich dort etwa 300 KämpferInnen eingefunden. Etwas außerhalb von einer kleinen, vollkommen infrastrukturlosen Siedlung erfüllten sie ihren Teil der Friedensabkommen, übergaben ihre Waffen an die UNO und begannen ihren (Re-)Sozialisierungsprozess in einfachsten Verschlägen aus Plastikplanen, ohne fließendes Wasser und ernstzunehmende Alternativen seitens des Staates. Doch sie waren das Improvisieren und das kollektive Arbeiten ja gewohnt und legten die Hände nicht in den Schoß.

So entstand unter Begleitung der Vereinten Nationen nach und nach eine kleine Siedlung mit Bolzplatz, Gesundheitsstation, Gemeinschaftsräumen mit Billardtischen und einer Gemeinschaftsküche. Die einfachen Häuschen stehen in Reih und Glied und sind mit farbenfrohen Wandbildern von idyllischen Landschaften und Großportraits bedeutender Guerilleros verziert. Sogar eine kleine Bäckerei und Ziegelei bauten sie auf, doch die Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft war schwieriger als gedacht. Die Nachbarschaft heißt sie und ihre Initiativen nicht gerade willkommen, die Region ist gefährlich, und auch die FARC-Leitung hat dieses so weit entfernte Lager scheinbar vergessen. Keine guten Bedingungen für die friedenswilligen Ex-KämpferInnen.

Hoffnung auf die Rückkehr in ein normales Leben

Ehemalige FARC-Kämpfer wünschen sich eine Zukunft in Frieden für ihr Baby. © Ulrike Purrer

Vor knapp zwei Jahren begegnete ich im Übergangslager einer zierlichen 35-jährigen Guerillera. Sie hatte ihr halbes Leben im Namen der FARC gekämpft und setzte nun alles auf die Karte des Friedens, denn sie war hochschwanger. Etwas zurückhaltend erklärte sie mir: „Ich wünsche mir so sehr, dass mein Baby in Frieden aufwachsen kann (…) Früher war ja nicht an Kinder zu denken. Mit dem schweren Rucksack und der Waffe auf dem Rücken, aber jetzt ist das möglich.“ Auch ihr Freund war viele Jahre bei der FARC gewesen, wurde bei einem Gefecht verletzt und trägt seitdem eine Beinprothese. Bei unserer Begegnung waren sie voller Vorfreude auf das Baby und den damit verbundenen definitiven Start in ein neues Leben.

Was aus der kleinen Familien geworden ist, weiß ich nicht. Allerdings kann ich ihre Sorge nicht vergessen, dass ihnen trotz des „Friedens“ etwas zustoßen könnte. Tatsächlich sind seit der Unterzeichnung der Friedensverträge 136 ehemalige FARC-KämpferInnen ermordet worden, und wieder führt Tumaco die traurige Statistik mit an:

© Ulrike Purrer

Ein historisches Nachbarschaftsfest

Doch trotz des enorm durchwachsenen Friedensprozesses hier an der kolumbianischen Pazifikküste, gibt es auch Momente der Hoffnung. Die FARC hatte kürzlich ein Sommerfest organisiert und die benachbarte Bevölkerung zu Essen, Kultur und Fußballturnier in ihr Lager eingeladen. Alles war freundlich geschmückt und selbst die holprige Zufahrtsstraße mit unzähligen weißen Papierfähnchen dekoriert.

Zirkuspräsentation des katholischen Jugendzentrums Centro Afro im Übergangslager der FARC. © Ulrike Purrer

Zwar nahmen nur sehr wenige Gäste die Einladung an, doch die Jugendlichen unseres katholischen Jugendzentrums Centro Afro hatten sich auf den Weg gemacht und präsentierten mit viel Engagement ihre kleine Show aus Tanz, HipHop, jonglierenden Clowns, Akrobaten und Feuerspuckern in diesem so ungewohnten Ambiente. Es war ein einmaliger, geradezu historischer Moment, zu erleben, wie ausgerechnet unsere Jugendlichen, die doch etliche Freunde und Verwandte an und durch die FARC verloren hatten, nun gerade hier überzeugt ihre Kunst vortrugen. Dieser Friedensprozess ist also doch noch nicht verloren!

Von Ulrike Purrer

Die Theologin Ulrike Purrer promovierte an der Universität Leipzig über Kirche und Frieden. Seit 2012 lebt sie als Fachkraft der Schweizer Entwicklungsorganisation COMUNDO in Kolumbien. Dort leitet sie ein katholisches Jugendzentrum und unterstützt die Jugendabteilung der Bischofskonferenz in ihrer Bildungsarbeit.

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