Mehr Europa, nicht weniger! Gerade in Zeiten des zunehmenden Rechtspopulismus will der französische Staatspräsident Emmanuel Macron der Europäischen Union neues Leben einhauchen und gemeinsame Ziele für die Union definieren. Genau dieser Impuls ist nötig, auch und besonders in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Derzeit erscheint sie oft wie ein Chor mit einigen Sängern, die sich gerne als Solisten hervortun würden. In einer sich dramatisch verändernden Welt muss die europäische Entwicklungszusammenarbeit jedoch wie ein guter Chor auftreten – sonst wird sie überstimmt.
Im Juni 2017 wurde der neue europäische Konsens über die Entwicklungspolitik verabschiedet. Er ist Vision und Rahmen für die Entwicklungszusammenarbeit der EU. Durch ein gemeinsames Programm sollen Komplementarität, Koordinierung und Kohärenz in der Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Der Konsens, der untertitelt ist mit „Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft“, orientiert sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, mit dem Anspruch, national, bilateral und international gemeinsame Ziele zu verfolgen.
Er weist in die richtige Richtung, wird jedoch zur Lösung zweier grundlegender Probleme nicht entscheidend beitragen können. Denn der weltweit größte Akteur in der Entwicklungszusammenarbeit ist die EU nur, wenn man die zwei Säulen, die mitgliedsstaatliche und die gemeinsame europäische Entwicklungszusammenarbeit, zusammenrechnet. Da jedoch einzelne Regierungen sehr oft die eigenen politischen Ziele über das der Entwicklung stellen, geben sie ungern in diesem Bereich Kompetenz an die EU ab. Dabei wäre die Entscheidungsgewalt dort besser aufgehoben. So wird der Konsens das Zusammenspiel der Säulen zu einem gewissen Grad verbessern, ohne jedoch die grundlegenden Probleme der Fragmentierung der Entwicklungszusammenarbeit und der Konkurrenz verschiedener Politikbereiche Abhilfe zu schaffen.
Bestrebungen nach mehr Koordinierung, besonders seitens der EU-Kommission, konnten in der Vergangenheit leider nur geringfügige Verbesserungen bringen. Dabei ist für die Empfängerstaaten die Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Gebern eine große Belastung: Neben dem bürokratischen Aufwand – Tansania zum Beispiel muss zeitweise etwa 2.000 unterschiedliche Berichte pro Jahr liefern – sind Beziehungen mit zum Teil überlappenden Partnern zu pflegen, die jeweils divergierende Ansprüche an ihre Leistungen knüpfen. Auch ist das Risiko erhöht, dass einige Staaten stärker gefördert werden und andere vernachlässigt. Dabei spielen zum Beispiel Rohstoffvorkommen eine Rolle.
Neben der Fragmentierung wird auch das Kohärenzproblem fortbestehen. Zwar hat man sich schon lange darauf verständigt, dass entwicklungspolitische Ziele auch in anderen Politikbereichen zu berücksichtigen sind. Doch weder auf EU- noch auf nationaler Ebene wird das Kohärenzprinzip zufriedenstellend umgesetzt. Das liegt mitunter daran, dass in den verschiedenen Politikbereichen abweichende Integrationsebenen erreicht wurden: Die Zuständigkeiten sind sehr unterschiedlich zwischen EU und Mitgliedsstaaten verteilt. So stellen Partner im Süden oft fest, dass die Ziele der Agrarpolitik oder der Wirtschaftspolitik denen der Entwicklungszusammenarbeit widersprechen.
Klimawandel, aufstrebende neue Mächte, Flucht, Vertreibung und Migration – die EU steht vor großen Herausforderungen, die nicht an nationalen Grenzen halt machen und die in einer globalisierten Welt nur gemeinsam angegangen werden können. Im Feld der Entwicklungszusammenarbeit hatte die Union bisher eine starke Stimme in der Welt. Die kann sie nur halten, wenn sie sich wieder auf die europäische Idee besinnt und einen gut funktionierenden Chor bildet. Auch wenn einige Mitgliedstaaten in der Vergangenheit gern als Solisten auf der Weltbühne aufgetreten sind, reicht die Stärke ihrer Stimme dafür nicht mehr aus. Für die Entwicklungspolitik bedeutet dies, dass endlich mehr Kompetenz auf supranationale Ebene abgegeben werden muss, um eine effektive und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit zu garantieren und so die führende Rolle der EU weiter auszubauen.
Die innere Entwicklung muss vorangebracht werden, um in auswärtigen Angelegenheiten an einem Strang ziehen zu können. Oder wie Macron es formuliert hat: Wir müssen ihr neues Leben einhauchen, unserer Europäischen Union.
Von Sabrina de Vivo und Wolf-Gero Reichert.
Dr. Wolf-Gero Reichert ist Abteilungsleiter und Geschäftsführer der Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Sabrina De Vivo ist Projektsachbearbeiterin in der Hauptabteilung Weltkirche.
Dieser Artikel erschien in der 1. Ausgabe der DRS Global von Januar 2018 – aus der weltkirchlichen Arbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart.