„Amazonien wird sich nicht in einen Ökopark für die Erste Welt verwandeln“, mahnte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro zu Beginn der Amazonien-Synode in Rom. Bolsonaro sieht darin eine „Internationalisierung“ oder „zweite Kolonisierung“ der Amazonasregion. Doch zwischen Naturschutz und Ausbeutung gibt es einen dritten Weg: Eine sinnvolle Nutzung, regional selbstbestimmt und nachhaltig. Nichts anderes wird von den Teilnehmenden der Synode diskutiert.
Internationalisierung Amazoniens?
Bolsonaro ist nicht der Erste, der unlautere Interessen in der Waldschutzdebatte vermutet und sich Einmischungen verbittet. Man wolle die Amazonasländer klein halten oder wohlmöglich selbst auf die Reichtümer der Region zugreifen. Ein Mythos, der sich durch die Naturschutzgeschichte Amazoniens zieht und bereits in den frühen 90ern sogenannte Fake News provozierte. Doch wie alle Mythen hat auch dieser einen wahren Kern, der weiter befeuert wird: Immer wieder wurde und wird auf internationalem Parkett betont, dass der Amazonaswald als Gemeingut der Menschheit anzusehen sei. Prominenteste Fürsprecher: Albert Al Gore – seinerzeit noch Gouverneur, Michail Gorbatschow und jüngst der französische Präsident Emmanuel Macron, der sogar forderte, die Amazonasregion unter einen wie auch immer gearteten UN-Status zu stellen. Dem Schutz der Region diente und dient dieser Diskurs freilich nicht; er trug in den 90ern maßgeblich zum Misstrauen zwischen den Staaten und dem Scheitern einer UN-Waldschutzkonvention bei und dient heute als Steilvorlage für Jene, die davon ablenken wollen, dass die Eigeninteressen der Menschen in der Amazonasregion und den gesamten Amazonasstaaten am Schutz groß genug sind, um alles daran zu setzen, diesen einzigartigen Lebens- und Wirtschaftsraum zu schützen.
Der Wald ist die Grundlage des Lebens in der Amazonasregion
Dass die rund zwei Millionen Indigenen in besonderer Abhängigkeit zu ihrer Umwelt leben, ist gemeinhin bekannt. Doch auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft auf dem Land leben die Menschen vielerorts relativ nachhaltig und sind abhängig von der Natur. Fischerfamilien (Ribeirinhos) entlang der Flüsse und die Quilombolas, Nachfahren entflohener Sklaven, die im Wald Schutz suchten, haben sich viel von der Ursprungsbevölkerung abgeschaut und leben in hohem Einklang mit der Natur. Sie fischen mit Wurfnetzen, bauen Gemüse an und nutzen den Wald, um Medizinalpflanzen, Baumaterial, Nüsse und Früchte zu sammeln. Auch einige Siedler aus den 70ern und späteren Jahren haben sich – unter anderem mit Unterstützung der Katholischen Landpastorale – nachhaltige Nutzungssysteme aufbauen können. Die Abhängigkeit vom Wald zieht sich sogar bis in die Städte, wo rund 60 bis 70 Prozent der Menschen leben. Darunter Millionenstädte wie Manaus mit bedeutender Wirtschaftskraft. Eines der Hauptnahrungsmittel, auch hier: Fisch, der zunehmend mit Quecksilber und anderen Schwermetallen aus dem Bergbau belastet ist oder im Zuge von Staudammbau und Abholzung immer geringere Bestände aufweist und infolgedessen teurer wird.
Menschen setzen ihr Leben ein
Nichts macht aus meiner Sicht die enge Verbundenheit von Mensch und Natur in der Region deutlicher als die Tatsache, dass Menschen für den Schutz ihrer Lebensgrundlagen ihr Leben riskieren. 2018 zählte der Indigenen-Missionsrat (CIMI) der katholischen Kirche in Brasilien 135 Ermordungen. Tendenz: Stark steigend. Aber auch Umweltschützer und Kleinbauern stehen im Fadenkreuz. Ich denke zum Beispiel an die Anti-Staudamm Aktivistin Dilma Ferreira Silva des Misereor-Partners Movimento dos Atingidos por Barragens (MAB), die während meiner letzten Dienstreise nach Brasilien gemeinsam mit ihrer Familie brutal am helllichten Tag ermordet wurde. Und ich denke an die Bio- Kleinbauern Maria do Espírito Santo Silva und José Cláudio Ribeiro da Silva, die wir im Rahmen der Recherchen zu einer Misereor- Fastenaktion besuchten. Sie propagierten die nachhaltige Nutzung der Wälder und Felder und provozierten damit so sehr, dass das Ehepaar Opfer von Auftragsmördern wurde. Wenn ich an diese Menschen denke, erfüllt es mich mit Wut, dass die Kritik Bolsonaros an der Synode in den Medien unkritisch übernommen wird.
Der Amazonas-Wald als Lebensader Lateinamerikas
Die Zukunft des Waldes ist ungewiss. Die Abholzung könnte schon bald eine kritische Schwelle erreichen: Weniger Wald bedeutet weniger Wolken und infolgedessen weniger Regen und Dürren im Amazonastiefland. Da Amazonien auch weite Teile Lateinamerikas mit Regen versorgt, besteht zum Schutz des Waldgebietes aus lateinamerikanischer Sicht keine Alternative. Außerdem bindet er so viel Kohlenstoff, wie die Weltgemeinschaft in zehn Jahren ausstößt. Umgekehrt treibt die Erderhitzung die Versteppung des Regenwaldes an. Wissenschaftler fürchten, dass der Regenwald auch dann dauerhaft zur Savanne werden könnte, wenn der Wald ab heute geschützt wird. Dieser Kipppunkt wird bei einer Erderhitzung um global durchschnittlich 3,5 bis 4 Grad Celsius prognostiziert. Mit der Summe aller bisher geplanten Klimaziele und Maßnahmen der Staatengemeinschaft könnten diese Temperaturerwärmungen eintreten. Insofern hat Bolsonaro Recht, wenn er Macron und andere ermahnt, sie sollen sich an ihrem eignen Natur- und Klimaschutz messen lassen.
Wer hat sie, die imperialen Interessen?
Wenn Bolsonaro sich genötigt sah, im Januar seine Nachrichtendienste auf die Synode anzusetzen und ihr jetzt unlautere Interessen unterstellt, dann, weil eine ernsthafte nachhaltige Entwicklung der Region nicht im Sinne seiner Unterstützer ist – darunter der Bergbausektor, die Goldsucher, die Großgrundbesitzer und die Sojabarone. Die Region Amazoniens soll – wie auch unter seinem Vorgänger Temer – die Staatskasse füllen und seinen Unterstützern dienen: Als deutlicher Auswuchs dieser Politik seien die Pläne im Norden des Bundesstaates Pará genannt, wo er die, wie er es nennt „internationale Achse des Naturschutzes“ mit Sojafeldern, Straßen und Bergbau „entwickeln“ will. Insofern ist seine Kritik am Öko-Kolonialismus des Westens ein Feigenblatt für sein eigenes koloniales Handeln.
Entwicklung für wen?
Die Konsultationen im Vorfeld der Amazonien-Synode bis in die letzten Winkel der Region hinein, zusammengefasst in einem Vorbereitungsdokument, haben deutlich gemacht: Ein Leben in Würde, Gemeinschaft, Ruhe und Gesundheit steht auf der Wunschliste der Menschen ganz oben. Vielerorts haben sich selbstbestimmte Entwicklungsprozesse als zukunftsweisend erwiesen und bieten noch viel unerkanntes Potenzial, wie der Schutz der Seen, Kooperativen, welche die Früchte des Waldes vermarkten, der Anbau von Kaffee oder Kakao in Agroforstsystemen, aber auch die Nutzung und Verarbeitung der reichen Pflanzenwelt für die Medizin- und Kosmetikindustrie. Die Konsultationen an der Basis machen auch deutlich, dass Großprojekte ihre Verheißungen nicht einlösen konnten.
Autonome Entscheidungen gibt es nur in gerechten Strukturen
Doch solange die Regierung und die Banken des Landes weiterhin nur Rinder, Zäune, Traktoren und Großprojekte fördern, werden diese Alternativen in einer Nische verbleiben. Solange der Staat die Grundrechte auf Bildung, Gesundheit und Infrastruktur nicht erfüllt, sind die Menschen höchst korrumpierbar durch Unternehmen, welche im Gegenzug für die Zerstörung der Lebensgrundlagen Schulen oder Gesundheitsposten anbieten. Solange Alternativen nicht bekannt sind, wird sich das Gros der Bevölkerung für Großprojekte aussprechen.
Und solange Gewaltandrohungen und Morde an Indigenen und Aktivisten kaum verfolgt, geschweige denn geahndet werden, sondern stattdessen von höchster Stelle rhetorisch angeheizt werden, darf eine Kirche, die sich dem Leben in Würde für alle Menschen verschreibt, nicht schweigen.
Von Anika Schroeder
Anika Schroeder ist Referentin für Klimawandel und Entwicklung in der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen von Misereor.
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